Lou Jeanmonnot zeigte in den Weltcup-Rennen im Januar eine nahezu perfekte Form und war die dominierende Athletin im zweiten Trimester. Nach je einem Sieg in Oberhof und Ruhpolding holte sie sich in Antholz-Anterselva das Double aus Sprint und Verfolgung. Dabei präsentierte sie sich sowohl läuferisch als auch am Schießstand auf dem höchsten Level und geht damit als große Favoritin in die BMW IBU-Weltmeisterschaften. Allerdings ist es alles andere als leicht, eine gute Weltcup-Form nach zweiwöchiger Pause mit in die WM zu nehmen. Sie hat bis zum Sprint im IBU-Cup in Ridnaun-Val Ridanna trainiert, wollte ihre Intensität hoch halten, um ihre Form zu konservieren und noch mehr Kraft und Energie für die WM in Lenzerheide zu tanken. Die Weltmeisterschaften werden extrem anstrengend, vor allem für die Top-Leute, die alle sieben Rennen bestreiten.
Für die Weltcup-Gesamtführende Franziska Preuß läuft es in dieser Saison prächtig, vor allem gesundheitlich. Sie hat bisher noch kein Einzelrennen verpasst und zeigt eine hohe Beständigkeit. Zudem hat sie ihre Treffergenauigkeit deutlich verbessert: Aktuell bringt sie 92 % ihrer Patronen im Ziel unter, was eine exzellente Quote ist. In der Loipe ist sie nicht weit von den schnellsten Läuferinnen Anamarija Lampič und Justine Braisaz-Bouchet entfernt und sicherlich auf Augenhöhe mit Lou Jeanmonnot. Außerdem scheint sie locker drauf zu sein und den Biathlon mehr denn je zu genießen. Das bringt uns zu einem wichtigen Faktor in Lenzerheide: der Höhe. Die Höhenlage kann entscheidend sein und vor allem jenen Athletinnen und Athleten mit einer hohen Sauerstoffaufnahme in die Karten spielen. Wenn man in Top-Form ist, spürt man die Höhe kaum. Hat man jedoch Probleme mit der Performance, kann sich das deutlich bemerkbar machen. Das gilt auch für Elvira Öberg, die vor Antholz-Anterselva leider erkrankt ist und ihre Fitness nicht in der Höhe testen konnte.
Jeanmonnot, Preuß und Elvira Öberg mögen zu den Favoritinnen bei den Frauen zählen, aber auch andere Athletinnen dürften ein Wörtchen um die Medaillen mitreden. Dazu zählen vor allem die aufstrebenden Stars Jeanne Richard, Oceane Michelon, Selina Grotian und Maren Kirkeeide. Selina Grotian hatte eine herausragende Woche in Antholz-Anterselva, wo sie Zweite im Sprint und Sechste in der Verfolgung wurde. Darüber hinaus dürfte sie gute Erinnerungen an den WM-Ort haben, wo sie 2023 bei den Offenen Europameisterschaften mit gerade einmal 18 Jahren Gold in der Verfolgung gewann.
Nachdem sowohl Johannes Thingnes als auch Tarjei Bø ihren Abschied zum Saisonende verkündeten, hat sich die Dynamik bei den Männern deutlich verschoben. Und zwar nicht nur, was die weitere Lebensperspektive der beiden Bø-Brüder betrifft, sondern vor allem auch innerhalb der norwegischen Mannschaft und bei den Top-Athleten anderer Nationen.
Sturla Holm Lægreid hat sich in den zwei äußerst emotionalen Wochen für den gesamten Biathlonsport nicht aus der Ruhe bringen lassen und führt derzeit die Weltcup-Gesamtwertung an. Schlüssel dafür ist seine unglaubliche Konstanz: In dieser Saison landete er nur zweimal nicht in den Top 6. Obwohl Johannes Thingnes das Höhentrainingslager in Lavazè vorzeitig verließ, ist er für mich noch immer der Top-Favorit in Lenzerheide. Er weiß seine Fähigkeiten wie kein Zweiter einzuschätzen, kann fast nach Belieben einen Gang hochschalten und die Strecke ist ihm auch wie auf den Leib geschneidert. Beim Weltcup letzte Saison in Lenzerheide siegte er sowohl in der Verfolgung als auch im Massenstart und wurde Zweiter im Sprint. Tarjei könnte auch zu Großem fähig sein. Er muss sich nicht auf die Gesamtwertung konzentrieren und ist in bestechender Form. Für ihn wird entscheidend sein, ob er im Stehendanschlag stabile Quoten erzielen kann. Gelingt ihm das, ist für ihn alles möglich.
Auch die französischen Männer dürften ihre Chancen optimistisch einschätzen. Sie sind in der Höhe traditionell gut in Form, vielleicht noch mehr als die Athleten anderer Nationen. Wer spielt noch im Medaillenrennen mit? Man darf gespannt sein, wie sich die Schweden in der Höhe präsentieren, wo sie erfahrungsgemäß ihre Probleme haben.
Tommaso Giacomel hat in Ruhpolding gezeigt, dass er siegen kann. Auch in Antholz-Anterselva ist er über sich hinausgewachsen. Wenn er seine Laufleistung, seine Genauigkeit am Schießstand und sein Equipment in Einklang bringt, kann er in der Schweiz ein gehöriges Wörtchen um die WM-Medaillen mitreden.
Die deutschen Männer sind nach ihren Leistungen in dieser Saison sicherlich Underdogs. Ungeachtet dessen hat jeder von ihnen das Zeug, an einem guten Tag aufs Podest zu laufen. Ich hoffe, dass zumindest einer aus der Mannschaft das auch zeigen wird. Und in der Staffel haben sie immer das Potenzial, aufs Treppchen zu kommen.