Gegen alle Widrigkeiten: Scott Meenaghs Weg nach Milano-Cortina

Scott Meenagh gilt im Para-Biathlon als Athlet, der jeden Sturm aushält. Er weigerte sich aufzugeben, als er während eines Militäreinsatzes in Afghanistan bei einer Explosion beide Beine über dem Knie verlor und machte weiter, als ihm die örtlichen Sportbehörden nach den Paralympischen Spielen 2022 in Peking die finanzielle Unterstützung entzogen. Nun stehen im März 2026 die Paralympics in Milano-Cortina auf dem Plan und Meenagh will seine Karriere mit einem Treppchenplatz krönen. Dieses Ziel ist nicht aus der Luft gegriffen – schließlich schrieb er bereits Geschichte als der erste Para-Biathlet Großbritanniens, der eine WM-Medaille gewann.

Biathlonworld: Scott, als Para-Biathlet gelten Sie oft als Ein-Mann-Team. Welchen Herausforderungen stehen Sie allein im Training und im Wettkampf gegenüber?

Scott Meenagh: Als einziger Athlet im Team ist es für mich wichtig, in den langen Trainingsmonaten mit den verschiedenen Sportgemeinschaften in Verbindung zu bleiben. Ich verbringe viel Zeit in der Umgebung unterschiedlicher Sportarten. So kann ich von den anderen Disziplinen lernen. Außerdem muss ich mental stabil sein und sicherstellen, dass ich hart arbeite. Ohne Teamkollegen und Trainer, die mich täglich begleiten, bin ich selbst dafür verantwortlich, dass ich mein Leistungsniveau halte und alles Nötig erledige.

BW: Wie haben Sie Ihre sportlichen Aktivitäten angesichts der erheblichen Mittelkürzungen für das britische Para-Nordic-Programm nach den Olympischen Spielen in Peking angepasst?

SM: Ich bin als Sportler viel einfallsreicher geworden. Dasselbe gilt auch für meine Trainer. Als mir die finanzielle Unterstützung des britischen Teams entzogen wurde, konnten wir nicht mehr so viel Zeit wie nötig im Schnee trainieren, um meine Leistung zu steigern. Wir haben auch Unterstützung im Bereich Skiwachsen und Skitesten verloren. Um diese Hürden zu nehmen, sind wir eine Partnerschaft mit der französischen Mannschaft eingegangen. Unsere Beziehung ist wirklich besonders. Indem wir unsere Ressourcen teilen und als „ein Team“ zusammenarbeiten, konnten beide Mannschaften davon profitieren.

BW: Was motiviert Sie in Zeiten knapper Ressourcen, weiterzumachen und in Ihrem Sport zu glänzen?

SM: Ich habe beschlossen, dass meine Sportlerkarriere nicht von Menschen abhängen soll, die nicht gänzlich verstehen, wer wir sind und was wir erreichen wollen oder die nicht unsere unglaublichen Errungenschaften in diesem anspruchsvollen Sport wertschätzen. Ich möchte der Herr über mein Schicksal sein. Deshalb habe ich immer darauf geachtet, von mehreren Quellen gefördert zu werden. Mein Ziel ist es, selbst zu entscheiden, wann ich aufhöre – zu meinen eigenen Bedingungen.

BW: Wie hat Sie die eng zusammenstehende Para-Biathlon-Gemeinschaft – die ja oft als eine große Familie gilt – in dieser schwierigen Zeit unterstützt?

SM: Biathlon ist anders als andere Sportarten. Die Gemeinschaft ist phänomenal und das liebe ich am meisten am Biathlonsport. Die internationale Biathlonfamilie hat mich und mein Team von unseren ersten Tagen an unterstützt, als wir versucht haben, uns schnellstmöglich einzuarbeiten und an Trainingslagern mit anderen Teams teilzunehmen. Sie haben mir in den schwierigsten Zeiten beigestanden, als unserer Mannschaft die finanzielle Unterstützung entzogen wurde. Die Biathlonfamilie ist wirklich einmalig.

BW: Welche Veränderungen oder Verbesserung würden Sie in Zukunft gern in Hinblick auf finanzielle und generelle Unterstützung der Para-Nordic-Sportarten in Großbritannien sehen? Und wie könnten sich diese Veränderungen Athleten auf wie Sie selbst auswirken?

SM: Ich würde gern sehen, wie der britische Sport Athleten in nicht-traditionellen Sportarten wie Biathlon anerkennt und sich die Zeit nimmt, zu verstehen, was für eine großartige Leistung es für britische Athleten ist, wenn sie in diesen Disziplinen konkurrenzfähig sind. In Großbritannien konzentrieren wir uns hauptsächlich auf Medaillen und erwarten in allen Sportarten Erfolge. Ich ziehe meine Motivation aus dem Wissen, dass ich in einer der anspruchvollsten Sportarten gegen ein Feld aus Weltklasseathleten bestehen kann. Wenn die Entscheidungsträger solch Einzelschicksale besser verstehen würden, könnten „Erfolg“ neu definiert und der Weg für andere geebnet werden. Uns die finanzielle Unterstützung nur drei Jahre nach dem Start unseres Programms zu entziehen, war kurzsichtig und hat sich verheerend auf zukünftige Talente im Biathlonbereich ausgewirkt.

BW: Bei der Weltmeisterschaft 2023 in Östersund haben Sie Silber im Einzel über 12,5 km gewonnen. Wie hat sich das auf Ihr Leben ausgewirkt? Hat es Ihnen neue Türen geöffnet?

SM: Eine Medaille zu gewinnen, war unglaublich. Es hat mir Zugang zu einem individuellen Finanzierungspaket des britischen Sports verschafft, das mich durch die Paralympischen Spiele in Milano-Cortina bringen wird. Ich konnte auch Sponsoren gewinnen und habe nun finanzielle Sicherheit, um in Hinblick auf 2026 Vollzeit zu trainieren.

BW: Wussten Sie, dass Para-Biathlon existiert, bevor Sie selbst Para-Biathlet geworden sind? Oder haben Sie erst auf Ihrem Weg davon erfahren?

SM: Ich habe Para-Langlauf bei einem Paralympischen Inspirationsprogramm in Sotschi 2014 kennengelernt. Als ich Para-Biathlon entdeckte, war es für mich das perfekte Komplettpaket. Als ich Interesse daran bekundete, wurde ich von zwei Trainern unterstützt – beide ehemalige IBU-Athleten – deren Leidenschaft für Biathlon und die Biathlongemeinschaft einfach ansteckend war. Danach gab es kein Zurück mehr!

BW: Was sind Ihre Langzeitziele im Para-Biathlon? Ist ein Erfolg bei den Paralympics im kommenden Jahr Ihr Hauptziel? Oder denken Sie bereits an das Leben nach den Paralympischen Spielen?

SM: Aufgrund der begrenzten Unterstützung durch den britischen Sport ist es unwahrscheinlich, dass ich nach Milano-Cortina weitermachen kann. Daher betrachte ich dieses Jahr als meinen „letzten Tanz“, meine Chance, in Italien einfach alles zu geben. Ich habe auch eine junge Familie, die hoffentlich mitreisen und mich anfeuern wird. Vor ihren Augen einen perfekten Wettkampf zu absolvieren ist mein größter Traum. Ich befürchte, nach Milano-Cortina wird meine Reise enden, aber es war ein unglaubliches Abenteuer!

Header iconScott Meenagh

Fotos: Kacin | IBU, Krystek | IBU

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