Johannes Thingnes Boe: Ausgeruht und fokussiert

Zuletzt haben wir Johannes Thingnes Boe am Holmenkollen im März 2022 gesehen – allerdings nicht in Sprint, Verfolgung oder Massenstart, sondern auf der Zuschauertribüne als ganz normaler Fan. Nach dem Gewinn von vier Goldmedaillen und einer Bronzemedaille bei den Olympischen Winterspielen in Peking beendete er seine Saison, um sich auszuruhen und für den nächsten olympischen Vierjahreszyklus sowie die Jagd nach der vierten Großen Kristallkugel Kraft zu sammeln.

Nun rückt die kommende Saison immer näher und JT Boe freut sich bereits auf die BMW IBU Weltcuprennen und wöchentlichen Kämpfe gegen seine Freunde. Nach einem harten Trainingstag im Trainingslager in Oberhof sprach er mit, während eine Massage ihn auf die nächste Runde „essen, schlafen, trainieren, wiederholen“ vorbereiten sollte.

Biathlonworld: Sie haben sich in diesem Frühling ein paar Extrawochen gegönnt, um auszuruhen und bei Ihrer Familie zu sein. Wie sehr haben Sie das gebraucht?

Johannes Thingnes Boe: Die letzten Jahre waren gefüllt mit vielen guten Rennen und guten Biathlonergebnissen, harten Wettkämpfen und meinem Streben, immer der Beste zu sein. Ich konnte die Gesamtwertung jedes Jahr gewinnen. Ich habe mich meistens dazu entschieden, an Trainingslagern teilzunehmen und alle Weltcups zu bestreiten. Vier Jahre lang war in meinem Kopf nur Platz für Biathlon, ohne einen Tag Urlaub. Selbst wenn ich mal ein paar Tage nicht trainierte, habe ich über Biathlon nachgedacht. Es ist nicht einfach, eine Pause von diesem Sport einzulegen. Ich dachte, jetzt wäre es einmal an der Zeit dafür. Ich hatte genug Zeit bis März, um mich vollkommen zu erholen. Und ich bin froh, dass ich gemacht habe.

Ich habe meine Batterien für die nächsten vier Jahre wieder aufgeladen. Es war auch super für meinen Kopf. In den letzten Jahren ist viel passiert (Covid-19-Einschränkungen, die Geburt meines ersten Kindes, WM, OWS). Das hat mich viel Kraft gekostet. Es war an der Zeit, sich zu regenieren

BW: Fühlten Sie sich komplett erholt, als der Mai begann?

JT: Es war die längste Pause, die ich je hatte. Ich habe im Kalender nachgesehen, als ich die Saison beendete. Es war im Februar. Das war super seltsam! Ich bin im März etwas Ski gelaufen. Ich bin noch nie einfach um des Vergnügens Willen auf die Bretter gestiegen, sondern immer, um meine Leistung zu steigern. Das hat mir ein neues Bild des Sports vermittelt. Auch, als ich den anderen am Holmenkollen zugesehen habe. Es war fantastisch. Biathlon einmal von außen zu betrachten, hat mir gezeigt, warum ich den Sport so liebe. Ich wollte wieder mit dem Training beginnen und jetzt steht schon die neue Saison vor der Tür. Mit jedem Tag werde ich ein bisschen gestresster, aber ich bin auch froh, bald wieder Rennen bestreiten zu dürfen. Es geht immer um die positiven und negativen Dinge!

BW: Aus was haben Sie sich im Sommer konzentriert? Regeneration und Refokussierung oder…?

JT: Mein Hauptziel war es, mein Schießen zusammenzukriegen. Das war alles, worüber ich nachgedacht habe. Ich kenne meinen Körper und meine Laufstärke. Auch wenn ich nicht in Bestform bin, zähle ich zu den Schnellsten da draußen. Es war daher wichtiger, mich aufs Schießen zu konzentrieren. Ich habe Einiges an Arbeit hineingesteckt und es sieht schon gut aus. Hoffentlich werde ich so wieder zu einem guten Biathleten. Ich will nicht nur der schnellste Läufer sein, sondern alles beherrschen.

BW: Neue oder alte Waffe?

JT: Es ist die Waffe, die ich von Dezember 2020 bis Antholz 2021 benutzt habe. Ich hatte sie nur kurze Zeit und mochte sie nicht. Nach den Olympischen Spielen habe ich eine lange Pause gemacht. An meinem ersten Schießtrainingstag im Mai habe ich mich einfach hingelegt und die Augen geschlossen. Irgendetwas fühlte sich falsch an. Dann habe ich die vorhergehende Waffe genommen. Plötzlich verstand ich, warum ich so viele Änderungen eingebaut und diese Waffe gebaut hatte. Sie war super. Ich habe damit gut geschossen. Es ist ein Happy End. Vom Sport Abstand zu nehmen, hat auch die Probleme in die Ferne rücken lassen. Diese Pause war gut für verschiedene Dinge.

BW: Was war der härteste Kampf in den vergangenen Saisons? Mentale oder physische Hürden, C-19-Beschränkungen oder…?

JT: Einschneidend war, als Fourcade seine Laufbahn beendete. Es hat das Spiel verändert. Ich musste mich selbst neu motivieren.  Es keinen Star, keinen „Bad Guy“ mehr. Es waren nur noch nette Kerle auf der Strecke (lacht). Das Jahr danach war eine Herausforderung, als ich mit Sturla um die Große Kristallkugel kämpfte. Es war mental schwer, da er so gut am Schießstand war und auch gute Laufzeiten hinlegte. Außerdem war ich in einer schlechten Schießphase. Das waren die Hauptprobleme, die mich viel Energie gekostet haben. Es (das Schießen) ist so wichtig in unserer Sportart. Aber jetzt bin ich ziemlich sicher mit meiner Waffe. Ich habe dieses Jahr ein paar Veränderungen vorgenommen, aber weniger als in den vergangenen zwei Jahren. Ich habe mit der Waffe lange trainiert. Das sollte mich beständiger machen. Mein größer Wunsch ist es, ein besserer Schütze zu werden.

BW: Sind Sie wieder bereit für den Kampf um die Weltcupgesamtwertung?

JT: JA! Das ist das Ziel, mein Hauptziel. In unserem Sport habe ich das immer als den ultimativen Preis angesehen. Man ist der Beste über das gesamte Jahr hinweg. Es lässt sich mit einer olympischen Goldmedaille vergleichen, weil es auf der ganzen Welt bekannt ist. Jeder will gewinnen. Jeder Athlet kann ein Rennen gewinnen, aber nicht jeder kann den Gesamtweltcupsieg holen. Darum haben es nur wenige Athleten bisher geschafft.

BW: Sie haben starke Konkurrenten beim Kampf um den Gesamtsieg: Sturla, Vetle, Sebbe und natürlich Quentin. Ist es so, als wäre Martin zurückgekehrt – nur aufgeteilt auf fünf oder sechs Athleten?

JT: (Lacht) Nein, es wird nie wieder so sein. Ich werde nächstes Jahr 30 Jahre alt. Ich warte auf den nächsten jungen Wilden, der mich herausfordert. Die anderen sind nicht mehr so jung. Sie sollten also lieber abliefern.

Was ich jetzt mag, ist, dass wir hart kämpfen, aber auch Spaß haben. Wir wissen, die Rennen sind eng. Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Selbst wenn man ein Duell verliert, wissen beide, dass es morgen anders herum sein kann. Die Athleten sind befreundet. Alle sind positiv eingestellt. Ich mag meine Rivalen. Sie sind gute Menschen. Sie sind keine schlechten Verlierer. Jeder gewinnt und verliert mit derselben Einstellung. Es ist wichtig, nicht in ein tiefes Loch zu fallen. Es gibt immer ein nächstes Rennen.

BW: Sind Sie im Moment zu 70, 80, 90 oder 100 % in Form?

JT: Gute Frage… Ich bin nie bei 100 % – außer in Hochfilzen. Im Moment sind es vielleicht 70 %. Ich bin in die Falle getappt, dass ich letztes Jahr die Saisoneröffnung in Norwegen aus Krankheitsgründen verpasst habe. Ich hatte also in Richtung Saisonstart den falschen Weg eingeschlagen. Der Schlüssel zu einer guten Saison sind Gesundheit und eine gute Vorbereitung auf den ersten Weltcup. Dann kann man die ganze Saison bestreiten.

BW: Was denken Sie über Oberhof und die WM?

JT: Man muss in einer guten Durchschnittsverfassung sein. Wenn der Körper gut funktioniert, hilft das viel. Man braucht seine Beine und den ganzen Körper, um die Laufgeschwindigkeit zu halten und noch ein paar Reserven übrig zu haben. Das Wichtigste ist, dass der Körper zu Beginn der Meisterschaft fit ist. Wir wissen, dass sich die Bedingungen ändern können: Wind, Regen, Nebel. Man muss darauf vorbereitet sein, dass Rennen verlegt werden. Man braucht einen offenen Geist und muss versuchen, die Wettkämpfe zu genießen. Das ist eine meiner Stärken. Es kümmert mich nicht, wo wir laufen oder bei welchem Bedingungen. Ich gebe einfach mein Bestes. Mehr kann man nicht machen.

Foto: IBU/ Christian Manzoni, Johannes Thingnes Boe

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