Um Sturlas großen Wurf zu erklären, lohnt ein Blick zurück auf das Jahr 2018. Damals musste der Norweger krankheitsbedingt aussetzen und träumte von einer großen Karriere. „Man sollte immer Träume haben und darauf hoffen, der Beste werden zu können. Ich wollte Profi-Biathlet werden und das Leben führen, das ich heute genießen darf. Gleichzeitig wollte ich mich immer weiter verbessern. Für meine Motivation brauche ich keine lange Liste mit Zielen. Mir reicht es, wenn ich spüre, wie gut ich werden kann. Das war 2018 genauso. Ich wusste damals, dass es nur ein temporärer Rückschlag war. Ich habe entschieden, die Zeit gut zu nutzen, um mein Schießen zu verbessern. Das hat mich dahin gebracht, wo ich heute bin. Ich kann meinem jüngeren Ich von damals nur dafür danken.“
Mit dem Sieg des Gesamt-Weltcups hat Lægreid ein Ziel erreicht, das ihn zusätzlich motiviert. „Ich bin dieser Kristallkugel lange Zeit hinterhergelaufen. Jetzt habe ich das Gefühl, im Biathlon alles erreicht zu haben. Von nun an kann ich alles noch mehr genießen. Ich habe noch einige Jahre vor mir und es ist ein enormer Druck von meinen Schultern gefallen. Jetzt will ich von Winter zu Winter schauen, wie ich mich weiter verbessern kann. Meine Motivation ist ungebremst. Statt der großen Ergebnisse blicke ich eher auf mein maximales Leistungsniveau.“
Rückblickend war der Gewinn des Gesamt-Weltcups vor allem wegen eines Mannes eine große Herausforderung: Johannes Thingnes Bø. „Ich war traurig, dass er aufhört. Mit dem Abgang der beiden Bø-Brüder endet eine Ära. Ich wusste, dass es meine letzte Chance sein würde, mit den beiden Rennen zu bestreiten und mich mit Johannes zu duellieren.“
„Als Johannes sein Karriereende verkündete, hat sich etwas in mir verändert. Von da an wollte ich das Maximum aus mir herausholen und mich mit dem größten Biathleten aller Zeiten messen. Zum Glück ist mir das gelungen und ich konnte ihm einen intensiven Kampf liefern. Das Wichtigste war, mein absolutes Leistungsmaximum zu erreichen. Auch wenn seine Performance vielleicht nicht ganz so gut wie ein, zwei Jahre davor war, befand sich Johannes immer noch auf einem verdammt hohen Niveau. Er war das Maß aller Dinge. Ich bin froh, dass ich mich mit ihm messen und ihn in seinen besten Jahren schlagen durfte.“
Neben seiner Top-Form in den Duellen mit JT trugen laut Lægreid auch der neue Schaft, seine Schießleistung und eine Extradosis Selbstvertrauen zu seiner bisher besten Saison bei. „Entscheidend waren meine Ruhe und mein Selbstvertrauen am Schießstand. Ich bin ein Schaft-Fanatiker und tüftle ständig daran herum. Ich bin überzeugt, dass ich so die nötigen Ergebnisse erziele. Letztes Jahr war super, aber am Ende hat nicht der Schaft die Scheiben getroffen, sondern ich. Siegfried Mazet sagt, ich könnte mit einer Salami schießen, wenn ich wöllte. Ich mag es, wenn kleine Optimierungen eine große Wirkung erzielen. Ich mag die Frage, wie man gut und schnell schießen kann. Da bin ich experimentierfreudig und bereit, den nächsten Schritt zu gehen. Wenn junge Kerle wie Martin Uldal Druck machen, muss ich schauen, was er macht.“
Die „jungen Wilden“ motivieren Lægreid, der in rund einem Monat im Gelben Trikot in die neue Saison starten wird. „Ich will der Typ sein, den alle schlagen wollen. So macht es noch mehr Spaß. Denn es bedeutet, dass du etwas erreicht hast und die Leute zu dir aufschauen. Wenn du dich nicht darauf vorbereitest, das Leibchen zu tragen, bist du auch nicht bereit, es zu verteidigen.“
Auf wen Lægreid in der kommenden Saison besonders achten will? „Tommy Giacomel muss man definitiv im Blick haben. Er ist jung, er verbessert sich ständig und er ist enorm laufstark. Er war schon im vergangenen Winter sehr gut unterwegs und wird sicherlich noch besser. Das Gleiche gilt für Eric Perrot. Auch er ist jung, stark und hat die besten Voraussetzungen. Er wird nur schwer zu schlagen sein, aber mir gefallen diese Duelle. Dann wird es ein paar Jungs geben, die in dieser Saison den nächsten Schritt machen werden, zum Beispiel Martin Uldal. Er ist sehr laufstark und feilt am Schießen. Ich denke, dass er ein Mann für die Zukunft ist.“
Auf die anstehende Olympia-Saison blickt Lægreid mit Zuversicht: „Ich habe gelernt, mich nicht zu sehr zu stressen. Wenn es läuferisch oder am Schießstand nicht rund läuft, neige ich dazu, alles zu hinterfragen. Doch dafür gibt es keinen Grund und ich darf meinem Prozess vertrauen. Die letzten Jahre haben vor allem gezeigt, dass ich richtig gut sein kann, wenn ich dranbleibe und an mich selbst glaube.“
Zu Lægreids Selbstvertrauen kommt die Mentalität eines Zockers, der fast nie verliert. „Ich will ruhig und überlegt vorgehen und im entscheidenden Moment alles auf eine Karte setzen. Aber ich will auf keinen Fall den Kopf verlieren, sondern alles unter Kontrolle haben. Wenn du etwas Bammel hast, ist das okay. Denn so weißt du, was auf dem Spiel steht, und kannst deine Karten entsprechend ausspielen. Doch du musst immer wachsam bleiben und auch schauen, was die anderen machen.“
Fotos: IBU/ Manzoni, Nordnes, Nordic Focus