Karriereende im Doppelpack

Mit Thomas Bormolini und Eva Puskarcikova hat sich vor Kurzem ein Paar aus dem Biathlonsport zurückgezogen. Beide haben ihre Entscheidung unabhängig voneinander gefällt. Bei der Tschechin reifte der finale Entschluss auf der Ehrenrunde beim Saisonabschluss am Holmenkollen. Der Italiener hingegen wollte die Emotionen nach der erfolgreichsten Saison seiner Laufbahn erst einmal sacken lassen, bevor er seine endgültige Entscheidung traf. Beide waren froh, die wichtigste Frage am Ende einer Sportkarriere nicht allein beantworten zu müssen – die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt fürs Aufhören.

BiathlonWorld: Wie seid ihr zu dem Entschluss gekommen, eure sportliche Laufbahn zu beenden?

Thomas Bormolini: Meine Entscheidung reifte Stück für Stück über einen längeren Zeitraum hinweg. Am Ende eines Olympischen Zyklus halten wir Athleten immer einen Moment inne. Wir blicken dann auf das Erreichte zurück und schauen, wohin unsere Reise gehen soll. Dann überlegen wir, wie wir unseren Alltag – sowohl sportlich als auch privat – strukturieren müssen, um die Ziele zu erreichen. Für mich war Biathlon immer ein wunderbares Kapitel in meinem Leben. Doch ich wusste auch, dass es eines Tages damit vorbei sein würde. Im vergangenen Jahr wurde mir langsam bewusst, dass ich mit 30 etwas anderes machen wollte. Also war es ein natürlicher Schritt, dem Biathlon auf Wiedersehen zu sagen und mich neuen Projekten und Erfahrungen zu widmen.

Eva Puskarcikova: Schon vor dem letzten Winter hatte ich das leise Gefühl, dass es meine letzte Saison werden könnte. Denn das Jahr davor lief es schon nicht rund für mich. Als das Saisonfinale immer näher rückte, stellte ich mir allerdings viele „Was wäre, wenn“-Fragen. Die Entscheidung, aufzuhören, ist ziemlich hart. Denn du musst deine Komfortzone verlassen. Von dem Zeitpunkt an macht niemand mehr Pläne für dich. Es ist eine große Herausforderung, nach so vielen Jahren im Hochleistungssport. Jahr für Jahr spürte ich, wie das Leben rasant an mir vorbeizog – immer schneller und schneller. Es tat weh, voller Hoffnung weiterzumachen, während mein Körper andere Signale aussendete und nicht mehr so konnte, wie in der Vergangenheit. Damit mir der Schritt leichter fiel, habe ich ein Abkommen mit mir selbst geschlossen: Wenn ich eine gute Saison abliefere und in der Lage bin, ohne große Probleme um die Top Ten mitzukämpfen und fehlerfrei zu bleiben, würde ich noch einen Winter weitermachen. Anderenfalls würde ich das Gewehr an den Nagel hängen und eine neue Herausforderung suchen.

BW: Hast du Thomas unterstützt, als er sich ebenfalls Gedanken um seine Zukunft machte? Wie sah deine Unterstützung für ihn aus? Und wie hat er dir geholfen?

EP: Thomas dachte auch viel nach. Am Ende hätte ich jede seiner Entscheidungen mitgetragen. Er war der Stärkere von uns. Meine Rennen gegen Ende der Saison in Otepää und Oslo waren sehr tränenreich. Da war er eine große Unterstützung für mich – nicht nur wegen der unzähligen Taschentücher, die er parat hatte. Als für ihn zum letzten Mal der Vorhang fiel, war er unglaublich tapfer – er hatte nicht so viel Unterstützung wie ich. In dem Moment sah er wahrscheinlich viel deutlicher, dass dieser Schritt nicht das Ende der Welt bedeutet. Es geht zwar ein Kapitel zu Ende, doch ein anderes wird fortan neu geschrieben.

BW: Macht es Angst, aus der Komfortzone Biathlon auszubrechen?

TB: Angst würde ich nicht sagen. Aber sobald du deine Komfortzone verlässt, merkst du, wie glücklich du dich als Athlet schätzen kannst. Das Einzige, worum du dich kümmern musst, ist ordentlich zu trainieren und in den Wettkämpfen im Winter dein bestes Leistungsvermögen abzurufen. Wenn du den Biathlon hinter dir lässt, wartet das echte Leben. Vorher lebst du in einer Blase, in einem goldenen Käfig. Den Athletinnen und Athleten geht es gut. Wenn es vorbei ist, bringt das neue Herausforderungen mit sich, aber auch neue Würze.

BW: Hattet ihr eine Vorstellung, wie es nach der Karriere weitergehen soll? Wie habt ihr eure Zukunft gesehen?

TB: Ich gehöre zu denen, die nach dem Karriereende nicht so richtig wussten, wie es weitergehen soll. Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher. Leider habe ich während meiner aktiven Laufbahn kein Studium aufgenommen. Vor allem für italienische Sportler ist das nichts Ungewöhnliches, denn als Sportsoldat fühlt man sich doch relativ sicher. Wenn man aber nach der Karriere etwas Bestimmtes machen will oder einen Weg außerhalb des Sports einschlagen möchte, muss man Zeit in die Weiterbildung investieren. Deshalb kann ich heute lediglich einen Schulabschluss, aber keinerlei Arbeitserfahrung vorweisen. Ich möchte künftig eine Ausbildung zum Skilehrer und meinen Trainerschein machen. Das ist ein erster Schritt.

BW: Welche Dinge aus deiner Karriere erfüllen dich mit dem größten Stolz? Und gibt es etwas, das du anders gemacht hättest?

EP: Nun, ich stand nicht wöchentlich auf dem Podium. Daher bin ich auf jeden Wettkampf stolz, in dem mir ein Podestplatz gelungen ist. Es dorthin zu schaffen, ist wirklich hart. Auch wenn ich in einem Einzelwettbewerb nur zweimal auf dem Podium stand, bin ich sehr dankbar für diese Erfahrungen. Ich bin heute noch froh, dass die Ziellinie bei der Verfolgung in Pokljuka keinen Meter weiter hinten war, sonst wäre ich wahrscheinlich nur Vierte geworden. Wenn dir Marie Dorin Habert im Nacken sitzt, ist es wirklich ungemütlich. Natürlich war auch jede unserer Podestplatzierungen mit der Staffel etwas ganz Besonderes. Wenn sich so viele Leute freuen, ist das einfach schön. Der Gewinn der Kristallkugel mit der Staffel 2015 war einfach unglaublich. Ob ich etwas anders gemacht hätte? Ich denke, alle Biathletinnen und Biathleten können viele Schießeinlagen aufzählen, die sie gern anders und besser abgefeuert hätten.

BW: Was ist das Schönste, nicht an die neue Saison denken zu müssen? Wobei schwingt vielleicht etwas Wehmut mit?

TB: Das Schönste ist dieses Gefühl von Freiheit. Ich wache morgens auf und entscheide dann, was ich essen und was ich tun möchte. Auch wenn ich mir trotzdem weiterhin einen Plan mache und das Gefühl habe, genauso organisiert und systematisch wie zu meiner aktiven Zeit zu sein. Aber ich muss jetzt nicht auf die Uhr schauen, wenn ich eine Runde laufen oder Rad fahren will. Es ist nicht ganz leicht, dein früheres Leben hinter dir zu lassen: die Leute, die Gewohnheiten, die Routine – es fehlt ein bisschen. Die neue Normalität ohne Trainingslager und die üblichen Menschen um dich herum ist schon etwas speziell.

BW: Was steht in Zukunft bei euch an?

EP: Vor uns steht eine lehrreiche Zeit. Wir werden neue Dinge ausprobieren und viel reisen. Wir wollen Fleckchen auf der Erde kennenlernen, die wir so noch nicht kannten. Nach Abschluss der Saison sind wir nach Mauritius gereist und haben den Balkan mit dem Auto erkundet. Im Herbst wollen wir vielleicht nach Korsika. Dann relaxen wir etwas. Und vor ein paar Tagen haben wir Tickets nach Vietnam gebucht.

TB: In der nächsten Zeit werde ich mich in Sachen Biathlon weiterbilden. Denn langfristig möchte ich dem Sport verbunden bleiben. Ich möchte vorbereitet sein, wenn sich eine Gelegenheit bietet, im Biathlon zu arbeiten, vielleicht ja sogar bei der IBU. Im nächsten Jahr geht es vor allem um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Weiterbildung und Entspannung. Dazu gehören auch Reisen, die schon immer meine Leidenschaft waren. Nun kann ich als Tourist die Welt entdecken, nicht mehr als Sportler.

BW: Werden wir euch in nächster Zeit im Biathlon-Zirkus antreffen?

TB: Ich bin stolz auf meine Rolle als IBU-Botschafter zur Gleichstellung der Geschlechter. Diese Aufgabe motiviert mich sehr. Die IBU unternimmt viel, um Athletinnen und Athleten nach ihrer aktiven Karriere zu unterstützen, zum Beispiel mit Lehrgängen und Camps. Ich schaue häufig, ob ich an solchen Veranstaltungen teilnehmen kann. Es wäre toll, zur Weiterentwicklung unseres Sports beizutragen und anderen Aktiven nach ihrer Karriere unter die Arme zu greifen.

EP: Schauen wir mal, wohin uns das Schicksal führt. Wir bleiben sicher mit vielen in Kontakt. Nach einer kleinen Pause vom Biathlon und mit etwas Abstand sage ich: Vielleicht bleiben wir ihm sogar näher als gedacht.

Photos: Manzoni, Miko/IBU, Puskarcikova

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