Björndalen blickt zurück auf die Entwicklung des Sports von gerade einmal drei Disziplinen, wenigen Zuschauern und kaum Sendezeit im Jahr 1993 zu dem heute globale Phänomen Biathlon. „Wir haben natürlich davon geträumt, aber Biathlon war selbst in Norwegen eine kleine Sportart. Alpin und Langlauf waren größer. Bei den Winterspielen 1994 in Lillehammer waren Frankreich, Deutschland und Russland sehr gut im Biathlon und Norwegen war sehr schlecht. Danach hat sich Biathlon Schritt für Schritt weiterentwickelt, und heute geht es rasant voran. Wir sind noch lange nicht am Ende der Fahnenstange, da ist noch viel möglich.“
Diskussionen spätabends, Leidenschaft und der Verfolger
„1993 und 1994 gab es nur den 10 km Sprint, das 20 km Einzel und die Staffel. In Norwegen gab schon ein wenig mediales Interesse am Sport. In den späten 90ern saßen die Fernsehkommentatoren Kjell Kristian Rike und John Herwig Carlsen, Regisseur Andreas Lauterbach und der IBU Präsident eines Abends spät zusammen und sprachen über die Zukunft, versuchten, eine neue Disziplin für unseren Sport zu entwickeln. Ich war ungemein beeindruckt. Sie waren so leidenschaftlich bei der Sachen und die Vordenker hinter den verschiedenen Disziplinen in unserem Sport. Wenn sie nicht gewesen wären, weiß ich nicht, wo wir heute stünden. Diese drei oder vier Männer haben einen riesigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Als sie diese Disziplin vorschlugen (Verfolgung), waren die Athleten zunächst positiv gestimmt, aber als Rike und Lauterbach über Rennen am Nachmittag sprachen, war die Reaktion sehr negativ. Wir waren es gewohnt, morgens Wettkämpfe zu laufen und uns nachmittags zu erholen. Eine Weile nach dieser Umstellung begannen wir zu sehen, wie das Interesse an unserem Sport zunahm.
Die Sportart änderte sich mit der Einführung der neuen Wettkampfformate dramatisch, und die Einführung von Preisgeldern war aus Björndalens Sicht ein weiterer wichtiger Schritt Richtung Wachstum. „Das war wichtig, weil wir nur mit guten Ergebnissen Geld verdienen konnten, und zwar keine Preisgelder, sondern aus dem Marketing und von Sponsoren. Es war praktisch unmöglich Sponsoren anzuwerben, bevor man einen WM-Titel oder Olympiasieg in der Tasche hatte. Dann lief das erst an. Ansonsten studierte man und war nebenbei professioneller Biathlet, lebte vom Bafög und bekam ein bisschen Geld vom Verband. Deswegen war die Einführung von Preisgeld so wichtig, und ..., dass das Preisgeld bei Frauen und Männern gleich hoch war. ... Heute gibt es selbst in den Rennen im IBU Cup sehr gute Preisgelder. Man kann auch in der zweiten Liga gutes Geld verdienen, nicht nur in den Weltcup-Rennen, das ist ein großer Schritt nach vorn.“
Erster Weltcup, „unglaublich, wie schnell man dazulernt“
Als der später sechsfache Gesamtweltcup-Sieger in den frühen Tagen der IBU seinen Einstieg gab, dachte er an alles andere als Preisgeld. „Ich war ein cleverer 19-Jähriger. Ich habe nie auf die Ergebnisse geschaut, sondern auf langfristige Ziele und meine Entwicklung als Athlet. In meinem ersten Weltcup war ich nicht ansatzweise auf dem Niveau, ich konnte froh sein, als Junior überhaupt dabei zu sein. In diesem ersten Rennen habe ich viel gelernt, viel Motivation mitgenommen und erkannt, wo ich hinkommen muss. Mit den besten der Welt sprechen zu können, das war eine tolle Erfahrung. ... Ich musste besser werden, aber wenn man es direkt vor Augen geführt bekommt, spürt, wie die anderen schneller laufen und besser schießen als du, da ist es unglaublich, wie schnell man dazulernt!“
Ein Teil von Björndalens Lernkurve und Wachstum im Sport verdankt er Verbesserungen beim Material. „Beim Material gab es ständig Veränderungen, von den Kugeln über die Gewehre bis hin zu den Skiern, Schuhen, Stöckern und Anzügen. Das war für mich spannend, weil ich so schnell an gute Ergebnisse kam. Meine Mission war, den Sport weiterzuentwickeln und interessanter zu machen: schnellere Ski, schnelleres Schießen. Dessen bin ich nie müde geworden; ich sah darin großes Potential. Jedes Mal, wenn mir ein gutes Ergebnis gelungen war, fand ich etwas anderes, woran ich noch feilen konnte. Es ging nicht nur um die Ergebnisse. Meine Leidenschaft war die Weiterentwicklung des Sports.“
Lektion von Fritz Fischer
In den wenigen Jahren, in denen Biathlon sich zum Medienliebling entwickelte, wuchs das unbedarfte norwegische Nachwuchstalent heran zum Sprintsieger bei Olympia 1998 und dann zur Legende mit vier Goldmedaillen bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City. Einige wichtige Lektionen waren für Björndalen entscheidend. „1994, ‘95 und ‘96 war ich ein guter Athlet, der beste Junior, aber nicht stabil. Mein größtes Problem, als ich in den Weltcup kam, war, dass ich das Niveau am Schießstand nicht hatte. Ich hatte das Glück, im Sommer nach Deutschland zu gehen und mit Ricco Groß und Fritz Fischer zu trainieren. Das weiß ich noch wie gestern. Ich war ein guter Stehendschütze. Fritz hat mir beigebracht, viel Druck auf den Abzug zu bringen. Umso größer der Druck, desto größer die Chance, die Scheibe zu treffen. Sein Fingertraining war fantastisch. Er war allen anderen in Norwegen so weit voraus, da hat niemand so gedacht wie er. Die Lektion war für das Stehendschießen, aber ich habe sie auf das Liegendschießen übertragen. Und im Liegendschießen, wenn man da den Anschlag gut erwischt, dann kann deine Oma die Scheiben treffen, weil das so einfach ist.“
Um ein Biathlon-Champion zu werden ergänzte Björndalen sein Training um eine bis dahin unbekannte Komponente: Einen Mentaltrainer. Vor wenigen Monaten sagte er: „Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man den Mut hat, eigene Wege zu gehen. Mein Verband hat nicht verstanden, warum ich einen Mentaltrainer brauchte. Heute ist das ganz normal, aber damals (1996) fanden sie das völlig verrückt.“
Vor kurzem erklärte er weiter: „Ich war ein großes Talent in einem Ausdauersport: Große Leistungsfähigkeit, leicht und recht stark für mein Gewicht. ... Aber in meinem Kopf sah es nicht gut aus. Ich begegnete einem ehemaligen Skispringer aus Vikersund, der sagte, ich solle mich an einen Freund von ihm wenden. Ich war ständig krank und musste meine Hotelzimmer putzen, um gesund zu bleiben. Er sagte, der Typ könne mir mit einem Gerät aushelfen, aber das ist nicht der wichtige Teil. Ich habe den Staubsauger gekauft, aber dieser Mann ist jetzt seit 1996 mein Mentaltrainer. Dieser Mann hatte wenig Ahnung von Sport, eigentlich gar keine. Aber er hatte ein System, um sein Ziel zu erreichen, um diesen Weg (zum Erfolg) strukturiert anzugehen. Ich habe ihm Sport erklärt und er mir den Weg. Ich habe mich wegen des Staubsaugers bei ihm gemeldet und nicht im Traum daran gedacht, er könnte mein Mentaltrainer werden. Das war ein reiner Glückstreffer.“
„Sport war pure Freude“
Es war der Erfolg in jedem Aspekt der Sportart, der Björndalens lange Biathlon-Karriere so besonders machte. Von außen betrachtet schien dieser Erfolg aus der Detailverliebtheit zu entstehen, aber eigentlich „kam er von innen betrachtet durch meine wahnsinnige Leidenschaft für diesen Sport, davon, jeden Tag aufzuwachen und weiter schlau und auch hart zu trainieren. Ich hatte 30 Jahre auf ziemlich hohem Niveau. Es gab nicht einen Tag, an dem ich den Sport und das Training gehasst habe. Ich habe meinen Sport nie als einen Beruf gesehen, nicht einmal in meinem ganzen Leben. Er war immer mehr wie ein Hobby, weil ich anfangs nicht davon leben konnte. Ich musste davon leben, Sponsoren und Netzwerke aufzutreiben, das war mein Beruf. Sport war pure Freude“
Diese „pure Freude“ bei 580 Weltcup-Starts, 44 IBU WM-Medaillen, sechs Weltcup-Gesamtsiegen und 13 (davon 8 Gold) olympischen Medaillen brachte Ole Einar Björndalen den Titel „König des Biathlon“ ein, und kürzlich zudem einen Platz in der IBU Hall of Fame. Diese Ehrung nahm er mit Bescheidenheit an, dankte der IBU und auch der Biathlonfamilie, die einen so großen Teil seines Lebens ausmacht: „Es ist so schön, so viele Athleten und Menschen aus dem Biathlon-Zirkus zu sehen. Ich freue mich wirklich sehr, alle wiederzusehen.“
„Mein Traum, als ich 12 war“
Björndalen kam zum Sport, als die IBU noch in den Kinderschuhen steckte, reifte zum Superstar heran, während der Biathlon an Bedeutung gewann und ist dem Sport auch heute nach als Trainer und Fernsehkommentator eng verbunden. Wenn er auf seine Karriere zurückblickt, erinnert er sich an die Träume eines Jungen in Simostranda. „Das hier war mein Traum, als ich 12 war. Damals war ich ein Bauer und wollte kein Bauer bleiben. Ich wollte vom Biathlon leben und der beste Biathlet der Welt werden. Ich wusste mit 12 Jahren noch nicht, dass das mein Leben verändern würde. Der Traum war da und ist wahr geworden. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass ich einen Weltmeistertitel holen würde, aber 40 Medaillen oder 13 olympische Medaillen, das hätte ich mir min meinem Leben nie träumen lassen ... niemals ... oder so viele Weltcupsiege ... niemals. Aber dieser Sport sollte mein Leben verändern, das war mein ganzer Traum, als ich 12 war.“
Fotos: IBU/Christian Manzoni, Rene Miko, Jerry Kokesh, IBU Archive