Die Sonne geht im Juni gegen fünf Uhr morgens über den Dolomiten auf. Nach dem Frühstück gehen die Athleten und Athletinnen am heutigen Tag getrennte Wege. Die vier Damen überqueren die Straße vor dem kleinen Hotel und wärmen sich auf der steilen Rollerskistrecke in Richtung Centro Fondo Lavazè auf. Die Herren haben heute einen dreistündigen Lauf durch die Berge über 20 Kilometer vor sich. Ein weiterer normaler Tag im scheinbar endlosen Sommerkreislauf aus trainieren, essen, schlafen und wieder trainieren…
Obwohl die Männer und Frauen heute nicht zusammen trainieren, gibt Damentrainer Patrick Oberegger zu, dass er gemischte Trainingslager mag. „Es ist hilfreich: doppelt so viele Menschen mit unterschiedlichen Gesprächsthemen und extra Unterstützung, wenn es einmal schwierig wird. Vor allem in den späteren Trainingslagern, wenn alle müde sind und sich gegenseitig während der harten Trainingseinheiten stützen müssen.“
Am vollautomatischen Schießstand mit 12 Bahnen die Schießmatten zu holen, Zielscheiben zum Einschießen zu lochen, die Munition zu kontrollieren und sich auf Laktattests während der zweistündigen Trainingseinheit vorzubereiten gehört zum glamourösen Leben eines Biathlontrainers und seiner Mitarbeiter dazu. Eine nach der anderen erklimmen Ida Lien, Juni Arnekleiv, Karoline Offigstad Knotten und die frisch verheiratete Ingrid Landmark Tandrevold die steile Treppe zum Schießstand, schießen sich mit zehn Schuss schnell ein und sind bereit für sechs Mal drei Kilometer Rollerskistrecke mit je einer Schießeinheit dazwischen. Klingt einfach, doch die Strecke ist hart, vor allem der 800 Meter lange Anstieg in Richtung Schießstand. Der Konditionstrainer Sverre Huber Kaas überwacht die Rollerskirunden jeder Athletin, analysiert die Lauftechnik und gibt Hinweise. Alle atmen schwer, als sie nach den Waffn greifen. Oberegger tritt einen Schritt zurück und filmt die fünf langsamen Schüsse. „Wichtig sind die Atemkontrolle und der Prozess (d.h. kein zu langes Warten vor den Schüssen), nicht das Ergebnis.“ Nach jeder Runde bekommen die Athletinnen kurze Anweisungen, werden für den Laktattest gepiekt, trinken einen Schluck und dann geht’s weiter – knapp zwei Stunden lang.
11:30 Uhr, nach der sechsten Runde, liegt Tandrevold rücklings auf der Schießmatte und leert ihre Wasserflasche. Dann räumt sie ihre Waffe ein und fährt mit den Rollerski langsam zum Hotel zurück. Die Männer kehren nach einem harten Lauf in den Bergen zu einer Schutzhütte auf 2.700 Höhenmetern, in deren Nähe noch Schnee liegt, ebenfalls heim. Mittagessen, ein kurzes Schläfchen, ausruhen. Die Athleten und Trainer genießen den warmen Tag mit 24°C… bis eine weitere Trainingseinheit auf sie wartet.
16 Uhr sind die Damen zurück am Schießstand und liefern sich lustige, aber produktive Schießwettkämpfe. Tandrevold und Knotten sind ein bisschen besser als das Duo Lien /Arnekleiv, als es darum geht, Liegendscheiben im Stehendanschlag zu treffen!
Der Schießtrainer der Herren, Siegfried Mazet, arbeitet eine Stunde lang mit Sivert Guttorm Bakken an den Grundlagen. Bakken trainiert aufgrund von Herzproblemen zum ersten Mal seit zwei Jahren. Er sagt: „Es fühlt sich toll an, ohne Einschränkungen zu trainieren, aber ich merke, was ich alles verpasst habe. Aber ich mache mir keine Sorgen, auch wenn die anderen ihre Trainingspläne durchziehen.“
Als Mazet und Bakken fertig sind, gesellen sich die verbliebenen Athleten Sturla Holm Laegreid und Johannes Dale-Skjevdal schweißgebadet zu ihnen, nachdem sie eine Stunde lang mit Trainer Egil Christiansen Doppelstockschübe trainiert haben. Am Vortag waren Vetle Sjaastad Christiansen und Endre Stroemsheim krankheitsbedingt nach Norwegen zurück gereist. Kurz vor 17:30 Uhr fordert Mazet die beiden Freunde am Schießstand. Nach einer kurzen Skirunde müssen sie anders als gewohnt ihre Schüsse abgeben, zum Beispiel von links nach rechts, um ihre Muster zu durchbrechen. „Ich sage es ihnen, wenn sie an den Schießstand kommen, sodass sie keine Zeit haben, darüber nachzudenken, sondern sich schnell anpassen müssen. Das macht ihr Denken effektiver, wenn sie wieder normal schießen können. Und es verleiht Selbstvertrauen, wenn es im Rennen einmal nicht perfekt läuft.“ Ein Dutzend Schießdurchgänge später stehen die Zeiger auf 18:30 Uhr. Der Trainingstag ist beendet… zehn Stunden, nachdem die Norweger am Morgen ihr Hotel verlassen hatten.
Fotos: IBU/Nordic Focus, Jerry Kokesh