Risiko und ein Plan: Wie die Italiener mit dem Druck der Olympischen Spiele in der Heimat umgehen

Dorothea Wierer, Tommaso Giacomel und das gesamte italienische Team bereiten sich mit einem Lächeln, Professionalität und dem Traum, Geschichte zu schreiben, auf ihre Olympischen Spiele im eigenen Land vor.

Ein wunderschöner sonniger Tag begrüßte das italienische Biathlonteam in Forni Avoltri während eines Trainingslagers, das die authentischste Seite des Teams offenbarte: Konzentration und Hingabe, aber auch Freundschaft, Lachen und nächtliche Kämpfe beim Brettspiel Risiko. In dieser ruhigen, aber energiegeladenen Atmosphäre tauschten die Azzurri ihre Gedanken zur Saison und deren größten Ereignis aus: den Olympischen Winterspielen 2026 in Mailand-Cortina. Tommaso Giacomel, Dorothea Wierer und Didier Bionaz gaben zusammen mit den Trainern Andrea Zattoni und Fabio Cianciana wertvolle Einblicke, wie sich das Team auf das Event mit den berühmten fünf Ringen vorbereitet.

Allem voran beeindruckt die ruhige Zuversicht von Giacomel. Mit 25 sieht er der kommenden Saison voller Vertrauen auf die Mühen, die er investiert hat, entgegen. Das ist genau die Art und Weise, wie sein Team Großereignisse anzugehen pflegt. Sie sind sich ihres Potentials bewusst, das sie ihrer jahrelangen harten Arbeit verdanken:

„Ich habe ein gutes Gefühl. Ich denke, es wäre schwieriger, wenn ich ein Außenseiter wäre. Aber ich weiß, dass ich zu den Favoriten zähle. Daher bin ich ruhig. Wenn ich gute Arbeit leiste, dann wird sich der Erfolg schon einstellen. Wäre ich ein Außenseiter, bräuchte ich ein Wunder, um eine Medaille zu gewinnen. Ehrlich gesagt konzentriere ich mich mehr auf die Weltcupgesamtwertung als auf die Olympischen Spiele.

Für Trainer Andrea Zattoni ist die Ruhe im Team außerdem der Tatsache geschuldet, dass ihr Weg bisher sehr gleichmäßig verlaufen ist:

„Wir hatten keine Probleme, weder physisch noch gesundheitlich. Keine Verletzungen oder Krankheiten, die uns gezwungen haben, die Anzahl der Trainingstage zu kürzen. Alles in allem ist alles positiv verlaufen und wir hoffen, dass es weiterhin so bleibt.“

Das Projekt ist klar:

„Es ist immer unser Ziel, hart zu arbeiten und unser Bestes zu geben. Bis zur Großveranstaltung ist der Druck nicht anders als vor jeder beliebigen Saison. Wir haben einen Trainingsplan entwickelt, der jenem aus der Vorsaison stark ähnelt. Das verleiht uns als Trainern, aber auch allen Athleten Selbstbewusstsein, denn letzte Saison haben wir bereits gesehen, wie gut alles gelaufen ist.“

Fabio Cianciana bestätigt:

„Ich habe keine Anspannung gespürt. Ich denke, wir sind bereit. Letztes Jahr waren der Dezember und die ersten beiden Januarwochen für uns eine sehr schwierige Zeit. Aber wir haben diese dunklen Tage hinter uns gelassen. Ich denke, diese Erfahrung wird uns dabei helfen, mit dem Druck gut umzugehen, den die Olympischen Spiele mit sich bringen.“

In diesem Sinn stellt auch der Teamgeist eine große Stärke der Italiener dar:

„Ich sehe Professionalität, Hingabe und eine tolle Gruppenatmosphäre. Sie sind alle befreundet, lachen zusammen und reißen Witze. Am Abend veranstalten sie riesige Risiko-Schlachten mit Geschrei, Lachen und viel Spaß.“

Doch das Selbstbewusstsein kommt nicht nur von Aktivitäten neben dem Biathlonsport. Die harte Arbeit zeigt sich in der Entwicklung jedes einzelnen Teammitglieds:

„Ich bin zufrieden, denn die funktionellen Tests zeigen Fortschritte. Das bestätigt unseren gesamten Prozess. Jetzt ist es an der Zeit für die letzten Justierungen.“

Aus Athletensicht erlebt Dorothea Wierer diese Zeitspanne besonders intensiv nachdem sie verkündet hat, dass sie ihre Karriere nach den Olympischen Spielen in ihrer Heimat beenden wird:

„Zu wissen, dass meine Zeit abläuft, hat Vor- und Nachteile. Ich kann es nicht erwarten, denn es ist ein einmaliges Event und nicht viele Athleten haben die Chance, bei Olympischen Spielen in der Heimat, wo man aufgewachsen ist und zum ersten Mal auf Skiern stand, anzutreten. Es ist wunderbar, meine Karriere so zu beenden, nicht wahr?

Ihre Vorbereitung war etwas ungewöhnlich und musste sich an die vielen Anfragen und Aufgaben als Ikone und Gesicht dieser Olympischen Spiele anpassen:

„Mit der Heimolympiade möchte auf einmal jeder etwas von dir. Man muss also diese Termine zusätzlich managen. Ich habe die meisten Aufgaben in den Frühling gelegt. Daher habe ich im Mai sehr wenig trainiert – etwa 30 Stunden. Das absolvieren manche in einer einzigen Woche! Ich habe mit dem Training erst richtig im Juni begonnen, aber alles läuft gut. Es ist nicht einfach, denn dieses Jahr ist etwas Besonderes – und teilweise auch sehr ermüdend.“

Giacomel hat keine Zweifel, dass seine erfahrene Teamkollegin alles tut, um für ihr Finale auf der großen Bühne in Antholz perfekt vorbereitet zu sein:

Sie sagt immer, dass sie die Tage zählt. Ich sehe, wie gut es gerade für sie läuft und hoffe, dass es auch so weitergehen wird. Sie ist immer noch dieselbe und beschwert sich unaufhörlich – das ist ein gutes Zeichen“, fügt er lächeln hinzu.

Nach einem problembehafteten Winter geht Didier Bionaz die Sache etwas verhaltener an:

„Ehrlich gesagt denke ich nicht oft daran, obwohl wir häufig danach gefragt werden. Aber wenn man darüber nachdenkt, muss man sich eingestehen, dass man so ein Event nur einmal im Leben erleben wird. Und nicht jeder bekommt die Chance, bei Olympischen Spielen in der Heimat anzutreten. Doch im Moment blende ich es aus. Meine Erwartungen kreisen eher darum, wieder das zu tun, was ich gut kann. Im Moment erlebe ich es wie jede andere Saison.“

Diese Mischung aus Gelassenheit und bewusstem Erleben wurde gut in einem Gespräch zwischen Cianciana und Giacomel zusammengefasst, an das sich der Trainer erinnert:

„Letztens sagte Tommy zu mir: ‚Wir fahren zu den Olympischen Spielen, um zu gewinnen, nicht nur, um teilzunehmen.‘ Im Moment verfügt unser Team über zwei Athleten, die in jedem Rennen siegen könnten. Aber wir wissen alle, wie unvorhersehbar die Einzelrennen sind. Beim Sprint in Pyeongchang waren Fourcade und Johannes Boe die klaren Favoriten, aber am Ende verfehlten beide drei oder vier Scheiben und gewannen nicht. Wie in jedem Weltcuprennen gilt: Wenn du schnell läufst und gut schießt, hast du eine Chance. Aber wenn man auf dem Papier als Fünftbester gilt und alle vor einem genauso gut sind, bleibt man am Ende dennoch Fünfter. Wenn allerdings jemand eine Scheibe mehr verfehlt als man selbst, dann ist man vorn. Das ist das Tolle an unserem Sport.“

Ein erster Test für die Entwicklung des Teams vor den Olympischen Spielen wird an diesem Wochenende im olympischen Stadion stattfinden. In Antholz-Anterselva werden die Italiener während der Nationalen Biathlonsommermeisterschaften gegen starke internationale Konkurrenz antreten. Nur Wierer wird die Wettkämpfe auslassen. Diese Entscheidung ist schon vor langem gefallen. Der Grund dafür ist, dass sich ihr Trainingsplan von dem der anderen unterscheidet. Doch die erfahrene Italienerin freut sich bereits auf das Loop One Festival im Oktober. Dort wird sie endlich wieder in eine Wettkampfstartnummer schlüpfen.

Fotos Gasparin/IBU

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