30 Jahre IBU: Christophe Vassallo und das Technische Komitee

Christophe Vassallo, Vorsitzender des Technischen Komitees der IBU, ist seit 30 Jahren fest mit dem Sport und der IBU verbunden. Anfang bis Mitte der 1990er startete der Franzose selbst im Weltcup, ehe er Trainer wurde und anschließend eine leitende Funktion im französischen Skiverband annahm, wo er derzeit als Koordinator Biathlon tätig ist. Im Jahr 2006 wurde er zudem ins Technische Komitee der IBU gewählt. Bei Fragen zu den Wettkämpfen, Regeln, Austragungsorten und all den versteckten kleinen Details, die Biathlon zu einem solch faszinierenden Sport machen, ist Vassallo der perfekte Ansprechpartner.

Wenn es um den Sport geht, den er so liebt, trifft der 55-Jährige aus Annecy keine vorschnellen Entscheidungen. Sämtliche Schritte und Beschlüsse von ihm und dem Technischen Komitee sind überaus sorgfältig durchdacht. Dazu fertigt Vassallo meist eine Pro- und Kontra-Liste an. Sollte sich eine Entscheidung am Ende nicht als 100 % richtig erweisen, wird sie erneut unter die Lupe genommen. Als Beispiel sei hier die Single-Mixed-Staffel aufgeführt, die verschiedene Entwicklungsstufen durchlief, bis sie schließlich 2019 in ihrem beliebten derzeitigen Format ins Programm der IBU-Weltmeisterschaften aufgenommen wurde.

Mixed-Staffeln mit Vorreiterrolle

Die Mixed- und Single-Mixed-Staffeln entstammen den Überlegungen des Technischen Komitees. Beide sind bahnbrechende Formate, die nicht nur das Gesicht des Biathlons verändert haben, sondern auch auf andere Sportarten wie Skilanglauf, Leichtathletik, Radsport, Schwimmen oder Bobsport und Rennrodeln abgefärbt haben. „Zugegeben, nicht alle unsere Ideen waren gut. Doch darin liegt auch die Stärke der IBU. Wir ruhen uns nicht auf dem aus, was wir haben, sondern gehen die Weiterentwicklung unserer Sportart proaktiv an. Die Verfolgung wurde einst eingeführt, damit die Biathletinnen und Biathleten gemeinsam im direkten Duell gegeneinander antreten können. Danach kam der Massenstart der besten 30, der sich als spektakulärer Neuzugang im olympischen Programm entpuppte und die Quintessenz beim Biathlon herausstellte: Skilanglauf und Schießen“, so Vassallo.

„Dann haben wir die Mixed-Staffeln. Sie sind ein Beispiel dafür, warum mir die Arbeit im Biathlon so gut gefällt, denn wir sind intelligent und aufgeschlossen. Bei den Mixed-Wettbewerben sind wir mit gutem Beispiel vorangegangen und viele andere Sportarten sind unserem Weg gefolgt, sodass wir hier wahre Pionierarbeit geleistet haben. Darauf können wir sehr stolz sein. Interessanterweise war es keine politische Entscheidung. Es ging nicht darum, der Welt etwas zu beweisen. Vielmehr entsprang dieses Format dem inneren Wunsch der Biathlon-Familie. Es war eine natürliche Entwicklung.“

Großer Show-Faktor

Vassallo ist sehr zufrieden damit, wie sich der Biathlon in den vergangenen 30 Jahren entwickelt hat: „Durch die Fernsehübertragungen zeichnen wir ein positives Bild. Zu meiner aktiven Zeit war das noch anders: Da gingen wir im Wald fast ein bisschen unter und haben temporäre Schießstände für einzelne Wettkämpfe aufgebaut. Erst die Anpassungen des Regelwerks und die enge Zusammenarbeit zwischen IBU, Organisationskomitees, Sendeanstalten und anderen Interessengruppen haben den Biathlon so erfolgreich gemacht. Wir haben sehr viel erreicht und es ist schön, dass wir so viel Spannung bei unseren Wettbewerben haben. Heute bieten wir eine gute Show.“

Fokus auf Sportlerinnen und Sportler

Nach Ansicht von Vassallo arbeitet das Technische Komitee über Jahre hinweg nach der gleichen Philosophie und setzt sich seit jeher dafür ein, das technische Regelwerk für den Biathlonsport, einschließlich Kleidung, Ausrüstung und Wettkampfanlagen, zu pflegen. Dennoch gab es auch so manche Veränderung. „Aufgrund der Weiterentwicklungen und der verschiedenen Interessen innerhalb des Sports haben einzelne Biathlon-Interessengruppen unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche. Beispielsweise war Nachhaltigkeit vor 16 Jahren noch kein Thema. Heute steht es für uns weit oben auf der Agenda. Oder nehmen wir die Startplätze. Da gab es vor zehn Jahren einen gewissen Druck von den Sendeanstalten, und auch hier haben wir eine Lösung gefunden. Unser Ziel ist es, den Sport langfristig zu bewahren und die Sportlerinnen und Sportler in den Mittelpunkt unseres Handelns zu rücken.“

Sichere und faire Wettbewerbe bleiben ein Kernthema des Technischen Komitees. Doch auch Anpassungsfähigkeit innerhalb der Biathlon-Familie hält das System am Laufen. „Die meisten Regeländerungen sollten diese Aspekte sicherstellen und die Gesundheit der Athletinnen und Athleten durch eine angemessene Anzahl an Wettkämpfen gewährleisten. Gerade für unsere Fans ist wichtig, dass unsere sportlichen Aushängeschilder Woche für Woche am Start sind und sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Die Teams sowie die Biathletinnen und Biathleten waren immer großartig darin, sich an neue Bedingungen anzupassen, beispielsweise bei den Olympischen Spielen oder Wettkämpfen in Asien. Alle Beteiligten verstehen das und deshalb funktioniert es so gut.“

Immer einen Schritt voraus bleiben

Bei der Frage nach mehr neuen Wettkämpfen räumt Vassallo ein: „Diese Optionen sind Teil eines Werkzeugkastens, den wir je nach Bedarf öffnen können. Wir wollen nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden. Wir wollen nicht reagieren müssen, sondern den Entwicklungen immer einen Schritt voraus bleiben. Wir haben den Supersprint entwickelt und können uns vorstellen, dass er die Wettkampf-Palette bereichert. Aber wir nehmen uns dabei die nötige Zeit und machen keine Schnellschüsse. Wir haben das Format getestet, angepasst, neu überdacht und werden uns weiter eingehend damit beschäftigen. Es bietet viele Vorteile, eine umfangreiche Liste an Wettkämpfen zu haben und vorbereitet zu sein. Gleichzeitig ist es aber auch möglich, einige unserer bestehenden Formate zu verbessern. Wichtig ist, dass die Fans vor den Bildschirmen einen Wettkampf leicht verstehen, damit wir ihr Interesse nicht verlieren.“

Show-Events im Sommer

Auch die Entwicklung der Sommer-Wettkämpfe steht seit Anbeginn auf der Agenda der IBU. Vassallo betrachtet Events wie das Blinkfestivalen, den City Biathlon Wiesbaden oder das Martin Fourcade Nordic Festival als Bereicherung neben der wichtigen Sommervorbereitung. „Diese Events sind großartig, da sie die Vorbereitung nicht beeinträchtigen. Das Teilnehmerfeld ist überschaubar und vielfältig. Den Zuschauern wird dabei eine tolle Show geboten. Ich befürworte das. Diese Veranstaltungen sind eine gute Möglichkeit, um neue Dinge auszuprobieren, die eines Tages auch im Winter eingeführt werden könnten. Es geht nicht nur um den Biathlonwettkampf, sondern auch um das ganze Drumherum, beispielsweise die Athletenpräsentation vor dem Start, neue Technologien oder die Siegerehrungen.“

Tür steht immer offen

Unterm Strich verfolgt das Technische Komitee seit seiner Einführung vor 30 Jahren das gleiche Ziel wie heute. Christophe Vassallo und sein Gremium, dem nun auch Vertreterinnen aus der Athleten- und Trainerschaft angehören, wollen damals wie heute den Sport weiterentwickeln. „Unsere Philosophie besteht darin, jeder Nation, ob groß oder klein, gleiche Chancen einzuräumen. Das liegt mir sehr am Herzen. Weiterhin steht die Tür für sachliche Diskussionen immer offen. Am Ende des Tages sind wir uns darin einig, dass Entscheidungen nicht vom Himmel fallen, sondern das Ergebnis eines gründlichen Analyse- und Monitoringprozesses sind. Wir sind froh darüber, dass unser System so gut funktioniert.“

Fotos: IBU/Christian Manzoni, IBU Archive

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