Für die letzte Expertenmeinung dieses Winters haben wir Kaisa Mäkäräinen zum Interview gebeten. Die dreimalige Weltcupgesamtsiegerin spricht über den Kampf der Boe-Brüder um den Gesamtsieg bei den Herren und über den dramatischen Vierer-Showdown, der sich bei den Damen ankündigt.
Eins ist klar vor den letzten Wettkämpfen in Canmore: Tarjei will seinen Bruder herausfordern. Das haben wir bereits bei den Weltmeisterschaften gesehen. Er gewann 2011 die Weltcupgesamtwertung, im gleichen Jahr wie ich. Deshalb hatte ich immer ein Auge auf Tarjei. Es ist lustig und auch cool, dass er immer noch zu den besten Athleten zählt – selbst 13 Jahre später. Im Biathlon ist alles möglich und Tarjei weiß das.
Johannes steht unter einem größeren Druck, den Titel des Gesamtsiegers zu verteidigen. Ja, er hatte einen schlechten Tag im Sprint von Soldier Hollow, aber das passiert ihm kaum mehrmals hintereinander. Er ist meistens in der Lage, seine Fehler bereits im nächsten Rennen zu korrigieren – und in der Verfolgung wirkte er sehr konzentriert am Schießstand. Er weiß, dass er es schaffen kann und was er dazu machen muss.
Tarjei hat eine Chance, aber wenn man die letzten Jahre betrachtet, kann man sich kaum vorstellen, dass Johannes seinen Vorsprung verschenken wird. Er hat in wichtigen Momenten immer gute Rennen abgeliefert.
Der Weltcupgesamtsieg im Damenbereich steht auf einem ganz anderen Blatt. Ingrid hat 73 Punkte Vorsprung, aber wir haben in der Verfolgung am Sonntag gesehen, dass sie noch immer Probleme im Stehendschießen hat. Sie wird als Trägerin des Gelben Trikots in das letzte Weltcupwochenende starten, aber die Frage lautet, ob sie es auch behalten wird.
Mein Rat lautet: Egal was passiert, sie sollte sich auf die technischen Abläufe konzentrieren und nicht überlegen „Was passiert, wenn ich drei Scheiben verfehle?“ oder „Wie viele Plätze werde ich verlieren?“. Es ist schwierig, aber sehr wichtig, nur im Jetzt zu sein und sich auf das zu konzentrieren, was man jeden Tag bei jedem Schießen trainiert hat. Ich habe zum Beispiel 2018 in Oslo am Holmenkollen an die Gesamtweltcupwertung gedacht, zwei schlechte Rennen (Plätze 40 und 22) abgeliefert und das Gelbe Trikot vor dem letzten Weltcupwochenende an Anastasiya (Kuzmina) verloren. Mein Trainer hat dann einfache Dinge mit mir trainiert und die richtigen Worte gefunden. Danach war es mein Ziel, einfach nur gute Rennen abzuliefern – und es hat funktioniert.
Den anderen Athletinnen kann es helfen, sich zu vergegenwärtigen, dass Ingrid nicht so stabil im Stehendanschlag ist. Sie wissen, dass sie eine Chance haben. Allerdings wollte ich immer jede Konkurrentin in ihrer Bestform schlagen. Denn ein Sieg fühlt sich nicht so gut an, wenn man weiß, dass die Gegnerin Probleme hatte. Doch Lisa, Justine und Julia spüren ebenfalls den Druck auf sich lasten. Sie müssen auch gute Rennen abliefern.
Auch wenn ich mir ein bisschen Sorgen um ihre Schießleistung mache, hoffe ich, dass Ingrid ihren Vorsprung verteidigen kann, den sie fast den ganzen Winter über innehatte. Ja, sie hat einen großen Rückschlag bei den Weltmeisterschaften erlebt, aber ich finde es stark, wie sie sich am Holmenkollen zurückgekämpft hat. Und auch in Soldier Hollow hat sie zwei gute Rennen gezeigt. Ich würde mich freuen, wenn Ingrid es schafft – aber ich bin mir bei ihr nicht so sicher wie bei Johannes.