Erfolgreichste Massenstarter: Martin Fourcade und Darya Domracheva

Der Massenstart ist das ultimative Kräftemessen im Biathlon. Bei diesem Rennen treten die 30 Besten im Sport in einem taktischen Rennen unmittelbar gegeneinander an, und oft entscheidet sich erst im letzten Stehendschießen, wer am Ende auf das Treppchen klettern darf.

Dieser Wettkampf ist ein Strategiespiel. Am Tag des Massenstarts wissen alle 30 Starter genau, wer wo steht: Wer Medaillen gewonnen hat und vor Selbstbewusstsein nur so strotzt und wer mit leerem Tank auf ein Wunder hofft. Dann gilt es, die Kräfte taktisch gut einzuteilen und mental die Oberhand zu behalten. In der ersten Runde bleibt das Feld meist zusammen, und beim ersten Liegendschießen geht zwar die Hälfte des Feldes ohne Fehler wieder auf die Strecke, aber einer der Favoriten setzt es immer in den Sand. Dann geht einer von den Großen nach vorn und lässt vor dem zweiten Liegendschießen mal die Muskeln spielen. Etwa später setzt sich eine kleine Gruppe vom Feld ab. Das Tempo wird von Runde zu Runde schneller, und jeder taxiert die Konkurrenz. Mit zwei fehlerfreien Liegendschießen ist man dem Podest ein ganzes Stück näher; bleiben Scheiben stehen, muss man jetzt kämpfen. Im ersten Stehendschießen wird meistens ausgesiebt, aber jetzt zeigen die Favoriten, warum sie Favoriten sind. Wer sich richtig gut fühlt, drückt noch mal aufs Tempo, um sich vor dem letzten Stehendschießen abzusetzen. In 90 % der Fälle werden die Podestplätze trotzdem im letzten Stehendschießen vergeben: Schnelles Schießen ist Trumpf. Wenn alle fünf Scheiben fallen, heißt es ab durch die Mitte und Vollgas. An einem perfekten Tag ist auf der letzten Runde vorne einer allein unterwegs und fliegt Richtung Ziel. Oder es läuft so wie zwischen Fourcade und Emil Hegle Svendsen in Sochi, die über die ganze letzte Runde Katz und Maus spielen, bis Fourcade sich verzweifelt über die Ziellinie wirft, während Svendsen in Siegerpose die Arme hochreißt.

Zwei Namen

Im Massenstart ist schwer zu sagen, wer am Ende vorn liegen wird, weil das Feld aus den Bestplatzierten im Gesamtweltcup und den besten Athleten der Winterspiele bestehen wird. Doch lange bevor die vorläufige Startliste da ist, springen zwei Namen ins Auge: Martin Fourcade und Darya Domracheva. Sie haben die meisten Siege auf dem Konto (13 bei Fourcade und 9 bei Domracheva) und haben die letzten Massenstart-Rennen in Antholz gewonnen. Von den beiden verteidigt allerdings nur Domracheva einen Titel aus Sochi.

Martin

Auch wenn Fourcade in den letzten drei Jahren die kleine Kristallkugel gewonnen hat, tritt Svendsen hier als Titelverteidiger an. In Pyeongchang ist der französische Star mit dreizehn Massenstart-Siegen der insgesamt erfolgreichste Starter; Svendsen hat sieben Siege auf dem Konto und von den anderen Athleten niemand mehr als drei. Im letzten Rennen vor den Winterspielen demonstrierte Fourcade im Massenstart noch einmal Stärke, nachdem er in Sprint/Verfolgung Johannes Thingnes Boe unterlegen war. Der Sieger gab zu, wie wichtig dieser Sieg war: „Mein Rennen war sehr gut. Ich war ein wenig nervös wegen der letzten Schüsse im Liegen und im Stehen, aber ich hatte es gut im Griff. Auf den Skiern habe ich mich heute gut gefühlt, und das war der Schlüssel zu meinem Erfolg... Das war auch gut für mein Selbstvertrauen vor den Winterspielen...“

Nicht aus dem Konzept zu bringen

Fourcades Erfolg im Massenstart (und anderen Disziplinen) verdankt er seinen bekannten Stärken, aber eines fällt in jedem seiner Rennen auf: Auch wenn es für ihn mal nicht nach Plan läuft, wenn er früh und unnötig am Schießstand patzt, lässt er sich nie aus dem Konzept bringen. Er bleibt ruhig, passt seinen Plan und die Taktik den neuen Bedingungen an und läuft weiter. Genau so war es auch in Antholz. Seine Erfolgsbilanz und seine Verfassung in dieser Saison machen ihn derzeit zum klaren Favoriten.

Emil mit besten Podestchancen

Svendsen, der alte Rivale des französischen Stars, wurde vor wenigen Wochen in Antholz Siebter. Der Norweger schoss einen Fehler mehr als Fourcade, machte aber insgesamt am Schießstand den Eindruck, als ob er in Pyeongchang treffsicher antreten würde. Svendsens brillante Leistung in der Verfolgung von Antholz, ein Sprung von 32 auf 5 mit fehlerfreiem Schießen, beweist einmal mehr, dass er immer noch vorne mitlaufen kann. Er ist und bleibt ein Kandidat mit besten Podestchancen, auch wenn sein letzter Sieg mehr als drei Jahre zurückliegt.

Sein Mannschaftskamerad Johannes hat in dieser Saison achtmal gewonnen, darunter einmal im Massenstart von Ruhpolding. Der IBU-Weltmeister von 2016 hat alles, was es zum Sieg in dieser Disziplin braucht, nicht zuletzt ein enormes Tempo am Leib. Auch wenn er seine Schießeinlagen in dieser Saison deutlich besonnener angeht, gibt es gelegentlich immer noch Ausrutscher - man denke nur an die fünf Fehler von Antholz. Dank halsbrecherischen Tempo auf der Strecke lag er im Ziel allerdings trotzdem nur 29,5 Sekunden hinter dem Sieger. Ja, Fourcade hat natürlich auf der letzten Runde nicht mehr Vollgas gegeben und den Zieleinlauf genossen, aber das dürfte ihn maximal 15-20 Sekunden gekostet haben. Wenn Johannes in Schlagdistanz ist, dürfen wir uns auf ein nervenaufreibendes letztes Schießen und eine heiße letzte Runde freuen!

Massenstart-Mentalität

Mit Tarjei und Jakov Fak gibt es zwei weitere ehemalige IBU-Weltmeister, die die Angelegenheit noch spannender machen könnten. Fak, dessen Trefferquote in dieser Saison einfach der Knaller ist und der schon in Sochi Vierter wurde, ist ein ernstzunehmender Rivale. Dann ist da noch der IBU-Weltmeister von 2017, Simon Schempp. Im Massenstart bei der IBU WM in Hochfilzen war er nicht der beste Mann, doch er machte das Rennen. Sein Kommentar nach dem Wettkampf verrät viel über die Massenstart-Mentalität. „Ich war nicht in der besten Form, und dann ist es viel schwieriger, selbstsicher zu sein und an sich zu glauben. Aber es war ja ein Massenstart. Man läuft in einer Gruppe, das macht es einem leichter, wenn man nicht topfit ist. Als ich an dem Tag aufgewacht bin, habe ich mich gut gefühlt. Mit den Beinen lief es gut, ich habe mich konzentriert und auf der Strecke alle Register gezogen. Das Wetter war toll und die Zuschauer auch; da waren so viele Deutsche, die mich angefeuert haben, die haben mich fast getragen. Definitiv ein perfekter Tag für mich.“

Titelverteidigerin Dasha

Wie ihr männliches Gegenstück Fourcade hat sie im Feld der Frauen die meisten Massenstartsiege (9) auf dem Konto. Ihre zwei Rivalinnen Kaisa Mäkäräinen und Laura Dahlmeier haben bislang je dreimal siegen können. Auch die Weißrussin setzte mit einem Sieg in Antholz noch mal ein Ausrufezeichen, gewann das Rennen ganz typisch mit einem Comeback nach einem frühen Fehler. Mit fehlerfreien Schießeinlagen arbeitete sie sich im Feld nach vorn, während andere in der Strafrunde zirkelten. Wie auch Fourcade blieb die dreifache Olympiasiegerin von Sochi konzentriert und gefasst, beides wichtige Fähigkeiten im Massenstart. „Von Rennbeginn an war es wichtig, gut zu schießen. Über die anderen habe ich mir keine Gedanken gemacht; ich musste einfach nur meinen Job machen.“

Es war ihr einziger Massenstartsieg in dieser Saison, der aber auf einen Leistungshoch im Februar hindeutet, sowohl auf der Strecke als auch am Schießstand. Domracheva wird unter großem Erwartungsdruck stehen, ist aber damit vertraut und könnte ihren Erfolg wiederholen.

Laura und KaisaDahlmeier ist die amtierende IBU-Weltmeisterin im Massenstart, war Vizeweltmeisterin 2016 und führt die Massenstartwertung an. Sie kann treffen und hat gute Laufzeiten, zu Hochform läuft sie allerdings auf, wenn sie führt und diese Führung verteidigen kann. Wenn die Deutsche in zehn Tagen in ihrer Hochfilzen-Form ist, ist sie eine klare Favoritin für Gold.

Mäkäräinens rasantes TempoMäkäräinen ist das Gegenstück zu Dahlmeier, ähnelt dafür mehr Domracheva. Die Finnin liegt selten in Führung und erkämpft sich ihre Podestplätze auf einer rasanten letzten Runde, wie in diesem Jahr in Antholz. Im Schlusssprint ist sie fast unbesiegbar, wie sie zuletzt bei ihrem Sieg im Massenstart von Ruhpolding bewies. Meistens sind es ein oder zwei Fehler (oder vier, wie in Antholz), die sie zurückwerfen. Mit ihrem rasanten Tempo reicht es aber zum Schluss oft trotzdem noch für einen Podestplatz. Fehlerfrei blieb Mäkäräinen zuletzt 2017 im Sprint von Ruhpolding, schießt aber in dieser Saison besser als ihr Durchschnitt. Wenn sie fehlerfrei bleibt, reicht es definitiv für Edelmetall.

Nastya und Justine

Anastasiya Kuzmina wurde im Antholzer Massenstart Zweite. Auf den Skiern ist sie in Form, am Schießstand läuft es in diesem Jahr auch besser. Fällt die Entscheidung auf der Strecke, hat sie eine Chance. Die junge Justine Braisaz siegte im Massenstart von Le Grand Bornand in der aufgeladenen Atmosphäre ihres Heimstadions, und auch in Pyeongchang wird die Luft vor Spannung knistern. Sollte dieses junge Talent erneut überraschen, wäre das eigentlich keine Überraschung.

Das sind sie also, die aussichtsreichen Kandidaten und Strategien für den Massenstart. Am Ende wird es aber darauf ankommen, wer tatsächlich am Start steht, mental und körperlich fit ist, vielleicht dieses „perfekte Rennen“ genau am richtigen Tag läuft und am Ende olympisches Gold holen kann.

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