Am 14. und 15. Februar, dem Valentinstag und dem Tag danach, werden bei den zwei längsten und härtesten Biathlonwettkämpfen der Olympischen Winterspiele alle Augen auf die zwei amtierenden Olympiasieger Martin Fourcade und Darya Domracheva gerichtet sein.
Diese ursprüngliche und älteste Disziplin des Biathlonsports ist die ultimative Kombination aus treffsicherem Schießen und Ausdauer.
Der Schwerpunkt liegt auf den vier Schießeinlagen (liegend, stehend, liegend, stehend), bei denen es nicht um schnelles, sondern um fehlerfreies Schießen geht. Für jede verfehlte Scheibe wird auf die Laufzeit eine Minute aufgeschlagen. Mit mehr als einem Fehler ist es fast unmöglich, noch auf das Treppchen zu kommen, von Gold ganz zu schweigen. Der Schlüssel zum Erfolg sind ein gleichmäßiger Rhythmus und ein ruhiges Tempo, denn ein eiliger Fehler kommt die Athleten teuer zu stehen. Ein paar Sekunden mehr pro Schuss sind auf der Strecke mit einem starken Tempo - allerdings langsamer als im Sprint - wieder aufzuholen. Eine ganze Minute wieder wettzumachen ist zwar nicht unmöglich, aber doch eine ordentliche Herausforderung. In den zwei Einzelrennen dieser Saison schaffte es nur Fourcade in Östersund mit zwei Fehlern aufs Podest. Die anderen 11 auf den Treppchen hatten entweder nur einen oder gar keinen Fehler geschossen. Keine Frage, bei diesen Wettkämpfen geht es vor allem ums Schießen.
Dasha am ValentinstagAm Wochenende mit Sprint/Verfolgung werden schon einige Entscheidungen gefallen sein, bis ab dem 14. Februar die Einzelrennen auf dem Plan stehen. Die 15 km der Damen sind aber für Domracheva eine weitere Gelegenheit, einen ihrer Titel von Sochi zu verteidigen. Auch wenn in dieser Disziplin insgesamt schon viermal gesiegt hat, ist der Sieg in Sochi ihr einziger großer Titel über die 15 km. Bei den letzten Olympischen Spielen leistete sie sich zwar einen Fehler auf dem Weg zur Goldmedaille, konnte der Silbermedaillengewinnerin Selina Gasparin und ihrer Mannschaftskameradin Nadezhda Skardino aber trotzdem über eine Minute abknöpfen.
In beiden Einzelrennen dieser Saison war die Weißrussin auf der Strecke gut unterwegs, verfehlte aber zwei- und dreimal, was sie den Podestplatz kostete. Am Schießstand machte sie zuletzt in Antholz allerdings einen besseren Eindruck, vor allem im Massenstart, in dem sie nach einem Fehler im Liegen die nächsten 15 Scheiben mühelos traf. Domrachevas Kraftreserven nach einem guten Trainingssommer sind ihr As im Ärmel. Sie mag zwar auf der Strecke nicht die Schnellste sein, kann aber ihr Tempo auch über lange Distanzen aufrechterhalten. Wenn die Titelverteidigerin ruhig und konzentriert bleibt, hat sie Chancen auf eine Medaille.
Doro und KaisaDank ihres fehlerfreien Schießens gewann Dorothea Wierer die 15 km von Ruhpolding mit einem Vorsprung von knappen 12,7 Sekunden vor Kaisa Mäkäräinen mit einem Fehler. So wird es wohl bei diesen zwei Favoritinnen auch diesmal laufen: Wierer wird, wenn sie in Form ist, schneller und vermutlich fehlerfrei schießen; Mäkäräinen wird schneller laufen und ein- oder zweimal verfehlen. Wierer kann auf vier Siege zurückschauen, drei davon über die 15 km. Mäkäräinen hat insgesamt 22 Rennen gewonnen, davon zweimal die 15 km. Keine der beiden hat bislang eine olympische Medaille gewinnen können, Mäkäräinen aber immerhin WM-Bronze über 15 km. Beide haben einen guten Januar gehabt, scheinen für die Spiele gerüstet zu sein und dürften gute Chancen auf eine Medaille haben.
Laura und Nadezhda
Laura Dahlmeier gewann im vergangenen Februar den WM-Titel in Hochfilzen mit einem Fehler. In ihrer Statistik über die 15 km finden sich drei Siege im Einzel bei 19 Siegen insgesamt. Im Stehen liegt ihre Trefferquote in dieser Saison bei 91 %, im Liegen bei 89 %, was übersetzt zwei Fehler und einen harten Kampf um einen Podestplatz bedeutet. Dank ihrer körperlichen Stärke hat Dahlmeier trotzdem gute Karten im Ringen um die Medaillen. Die 24-jährige Deutsche fliegt nicht zum Spaß nach Korea, mit ihr ist also auch hier zu rechnen.
Domrachevas Mannschaftskameradin Nadezhda Skardino holte in Sochi Bronze über die 15 km, und das mit - man höre und staune - fehlerfreiem Schießen. Das überrascht nun wirklich niemanden, die Weißrussin traf im Januar zuletzt 76 von 80 Scheiben, gewann die kleine Kristallkugel im Einzel (1. in Östersund, 7. in Ruhpolding, beides fehlerfrei) und hat in dieser Saison eine Trefferquote von 97 % im Liegen und 91 % im Stehen. Ihre Achillesferse sind die Laufzeiten, aber mit fehlerfreiem Schießen dürfte diese Frau mit dem strahlenden Lächeln dem Podest und einer zweiten olympischen Medaille schon mal ein ganzes Stück näher kommen.
Und…Auch unter den anderen Damen gib es eine ganze Reihe, die sich ein Valentinstagsgeschenk schießen könnten, darunter Anais Bescond, Vita Semerenko, Juliya Dzhyma und Veronika Vitkova. Sollte von den Favoritinnen jemand patzen, gilt es auf diese Damen ein Auge zu haben, vor allem dann, wenn 20 Schuss ins Schwarze gehen.
Martin, der Meister der 20 km
Fourcade hat in vier der fünf letzten Saisons die großen Titel im 20 km Einzel abgeräumt, darunter auch Gold in Sochi. Sein einziger „Fehlschlag“ war die Bronzemedaille bei der letzten IBU WM, als er mit zwei Fehlern trotzdem nur 21,2 Sekunden hinter Lowell Bailey aus den USA ins Ziel kam. In dieser Saison teilt er sich die Kristallkugel mit Johannes, nachdem beide je ein Rennen gewonnen hatten. Allein diese Statistik macht den französischen Star und Titelverteidiger zum Topfavoriten. Fourcades Sieg vor einigen Wochen in Ruhpolding mit einem Fehler unterstreicht noch einmal seine Dominanz über die 20 km: Selbst mit einem Fehler ist er auf der Strecke trotzdem eine Minute schneller als Johannes.
Diese Disziplin ist Fourcade wie auf den Leib geschneidert. Er kann sein Schießtempo wenn nötig herunterschrauben, wenn jeder Treffer zählt, und seine Trefferquote erreicht in dieser Saison mit 91 % einen Spitzenwert. Natürlich ist auch er nur ein Mensch und verfehlt gelegentlich. Trotzdem ist sein lässiger Stil am Schießstand perfekt für diesen Klassiker. Auf der Strecke legt er dank seines Trainingsvolumens im Sommer ein Tempo vor, das nur wenige über die fünf Runden mitgehen können. Üblicherweise steigt er konservativ ein und legt dann auf jeder Runde ein wenig zu. Wenn nicht irgendetwas Unerwartetes dazwischenkommt, sollte diese Goldmedaille an Martin Fourcade gehen.
Johannes auf Aufholjagd.Johannes Thingnes Boe kann auf 21 Siege zurückschauen, davon nur einer in dieser Disziplin: ein fehlerfreier Titel im Dezember in Östersund. Bislang hat ihm sein schnelles und bisweilen holpriges Schießen über die 20 km oft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Inzwischen hat er sich aber am Schießstand deutlich mehr unter Kontrolle und trifft auch im Stehen besser. Keine Frage: Der Sprint ist seine Königsdisziplin. Trotzdem verfügt der junge Norweger über die mentale Stärke und das Laufvermögen, um über die 20 km gut abzuschneiden. Der Unterschied zwischen Fourcade und ihm liegt vielleicht nur in Erfahrung und Training: Der fünf Jahre ältere Fourcade hat mehr Kilometer zurückgelegt und ist schon länger dabei, was im Biathlon immer ein Vorteil ist. Es ist ein langer Weg. Johannes und Fourcade haben sich mit den Weltcupsiegen abgewechselt, doch am 15. Februar wäre es überraschend, wenn Johannes‘ Medaille Gold wäre.
Faks ChanceJakov Fak hat bereits Sprint-Bronze aus Sochi und IBU-WM-Titel über 20 km und im Massenstart gewonnen. Nach längerer Krankheit könnte es in diesem Jahr endlich mit einer Medaille über die 20 km klappen. Auch wenn er in dieser Saison kurzzeitig krankheitsbedingt ausgefallen war, ist Fak die Nadezhda Skardino im Feld der Herren. Im Januar traf er 94 von 100 Scheiben, das ist eine Quote von 94 %! Der Slowene kann auf der Strecke bislang nicht mit Fourcade oder Johannes mithalten, dürfte aber bis nächste Woche noch ein paar Sekunden herausgeholt haben. Seine Erfolge bei Winterspielen und Weltmeisterschaften und die Erinnerungen an Bronze über 20 km bei der IBU WM 2009 auf eben diesen Strecken von Pyeongchang dürften Fak auf dem Weg zur Medaille zusätzlich ermutigen.
Erik mit Silber aus SochiErik Lesser holte in Sochi über die 20 km Silber. Für ihn begann die Saison mit einem Sprintpodestplatz in Östersund und einem zweiten Platz im Massenstart von Le Grand Bornand. Wenn er sich am Schießstand nur einen Hauch mehr Zeit lässt, kann Lesser so sauber schießen wie in Frankreich. Er witzelt zwar darüber, dass Fourcade und Johannes immer vor ihm im Ziel sind, aber in diesem Fall wäre er wohl mit einer weiteren Medaille sehr zufrieden, auch wenn es Bronze ist!
Emil und die ÖsterreicherNeben Fourcade ist noch ein weiterer Olympiasieger über die 20 km in Pyeongchang mit am Start: Der Sieger von 2010, Emil Hegle Svendsen. Ob er bei den 20 km starten darf, ist noch nicht sicher, aber wenn er die Chance bekommt, hat er das Zeug zum fehlerfreien Schießen und die Kraft und Ausdauer für diesen zermürbenden Wettkampf. Daneben gibt es noch die zwei Scharfschützen aus Österreich, Dominik Landertinger und Simon Eder, die in Sochi 5. und 4. wurden. Beide wurden im letzten Monat mit je einem Fehler 6. und 7. in Ruhpolding. Landertinger ist in dieser Saison etwas im Zeitplan zurück, nachdem er im November am Rücken operiert werden musste, ist aber stark zurückgekehrt. Eder hat wie sein Mannschaftskamerad schon eine ganze Reihe von WM- und Olympiamedaillen gewonnen und ist in diesen Wettkämpfen in seinem Element. Zudem hat dieser erfahrene Schnellschütze in dieser Saison mit 89 % seine bislang beste Trefferquote geschossen. Beide schießen manchmal zu schnell, aber wenn sie treffen, ist eine Medaille oder eine gute Platzierung nicht ausgeschlossen.
Hinter dieser Gruppe gibt es noch eine ganze Reihe von Herren, die sauber schießen und um die Medaillenränge mitlaufen können. Sowohl bei den 15 km der Damen als auch bei den 20 km der Herren wird am Ende das Schießen darüber entscheiden, wer bei der Siegerehrung die Goldmedaille umgehängt bekommt.