Expertensicht: Erkenntnisse aus der bisherigen Sommervorbereitung und Erwartungen an das Loop One Festival

Der Herbstbeginn läutet traditionell die entscheidende Vorbereitungsphase vor der neuen Saison ein, die 2026 ihren Höhepunkt mit den Olympischen Spielen in Mailand und Cortina haben wird. Zu diesem Anlass haben wir Giorgio Capodaglio vom Portal „Fondo Italia“, Florian Burgaud von „Nordic Magazine“, Ron vom Biathlon-Podcast „Extrarunde“ und Helena Ekholm vom schwedischen TV-Sender SVT zu ihren Eindrücken und Highlights der bisherigen Sommervorbereitung und der Wettkämpfe sowie den bemerkenswertesten Comebacks befragt. Von Lou Jeanmonnots Dominanz bis hin zur Rückkehr von Lisa Vittozzi, von aufstrebenden Talenten bis hin zum mit Spannung erwarteten Loop One Festival in München werfen die Fachleute hier einen Blick zurück und einen Blick voraus.

Biathlonworld (BW): Die Sommerbiathlon-Saison neigt sich dem Ende entgegen. Wer hat euch am meisten beeindruckt?

Giorgio Capodaglio (GC): Die Rennen im Sommer sind natürlich anders als die im Winter, da sich die Athletinnen und Athleten unterschiedlich darauf vorbereiten. Ungeachtet dessen zeigte Lou Jeanmonnot herausragende Leistungen bei den Französischen Meisterschaften und beim Blinkfestivalen, wo sie sich den Platz ganz oben auf dem Podest mit Lisa Vittozzi teilte. Bei den Männern zeigte Eric Perrot starke Leistungen beim Blinkfestivalen und beim City Biathlon in Dresden. Emilien Jacquelin war in Norwegen und bei den Französischen Meisterschaften in Arcon in bestechender Form, während Tommaso Giacomel die Italienischen Meisterschaften dominierte.

Florian Burgaud (FB): Die Wettkämpfe im Sommer lassen sich nur schwer beurteilen, da man nicht wirklich weiß, in welcher Form die Biathletinnen und Biathleten zu diesen Veranstaltungen anreisen. Lou Jeanmonnot hat allerdings deutlich gemacht, dass sie ihre schmerzliche Niederlage im Kampf um die Große Kristallkugel beim Saisonfinale des letzten Winters überwunden hat.

Bei den Französischen Meisterschaften am vergangenen Wochenende war sie das Maß aller Dinge und den anderen Teilnehmerinnen bei Weitem überlegen. Zuvor beeindruckte sie bereits beim Blinkfestivalen im August, auch wenn es beim City Biathlon in Dresden nicht ganz so gut für sie lief. Bei den Männern zeigten Perrot und Jacquelin gute Leistungen, genauso wie Martin Uldal und Sturla Holm Lægreid.

Ron: Am meisten beeindruckt haben mich Eric Perrot sowie Janina Hettich-Walz und Lou Jeanmonnot. Perrot hat alle Sommer-Events mitgenommen und landete durchweg auf den vorderen Plätzen. Im Vergleich zu den Vorjahren scheint er einen weiteren großen Schritt nach vorn gemacht zu haben. Bei den Frauen feierte Janina Hettich-Walz ein unglaubliches Comeback nach ihrer Babypause und gewann bei den Deutschen Meisterschaften zweimal Gold und einmal Silber. Dabei haben mich vor allem ihre Laufzeiten beeindruckt – sie war die Schnellste bei den Meisterschaften. Ich bin gespannt, ob sie dieses Niveau im Winter bestätigen kann.

Helena Ekholm (HE): Als Schwedin muss ich sagen, dass mich Elvira Öberg immer wieder aufs Neue beeindruckt. Sie ist so unglaublich laufstark! Darüber hinaus feierte Hettich-Walz ein starkes Comeback!

BW: Wer muss eurer Meinung nach bis zum Winter noch zulegen?

GC: Von dem, was wir bisher gesehen haben, muss Ingrid Landmark Tandrevold in Sachen Form noch zulegen. Sie schien sowohl in Italien als auch bei den Norwegischen Meisterschaften Probleme zu haben. Man muss aber sagen, dass sie im Sommer nur selten mit Bestleistungen auftrumpft. Vanessa Voigt schien auch weit von ihrer Bestform entfernt, auch wenn sie am Schießstand weiterhin performt.

FB: Da könnte ich viele Namen nennen, aber das ist zu diesem Zeitpunkt völlig normal. Quentin Fillon-Maillet hat im Sprint von Arcon einige Schwächen gezeigt und beim Schießen nur zwei von zehn Scheiben getroffen. Julia Simon, Fabien Claude und Justine Braisaz-Bouchet haben bisher auch noch nicht geglänzt. Außerdem ist es zu diesem Zeitpunkt unmöglich, Dorothea Wierer zu beurteilen, da sie bis dato keinen einzigen Wettkampf bestritten hat. Etwas Sorge bereitet mir Hanna Öberg, die wegen Krankheit mehrere Tage im Höhentrainingslager verpasst hat.

Ron: Rein von den Ergebnissen her haben die deutschen Männer noch einige Arbeit am Schießstand vor sich. Bei den Frauen fand sich Tandrevold oftmals weit hinten in den Ergebnislisten wieder. Doch ich bin überzeugt, dass sie mit Beginn des Winters wieder Bestleistungen zeigen wird.

BW: Im Sommer sind einige bekannte Namen nach Verletzungen, Krankheit oder einer schwierigen Vorsaison zurückgekommen. Wer scheint am besten für ein starkes Comeback gewappnet?

GC: Als Italiener muss ich natürlich Lisa Vittozzi nennen. Ihr Auftritt beim Blinkfestivalen wurde mit Spannung erwartet und sie hat sich dort in guter Form präsentiert. Außerdem ist sie gut damit umgegangen, wieder im Rampenlicht zu stehen. Das sind gute Vorzeichen für den Winter.

FB: Das stärkste Comeback hat für mich Hettich-Walz gezeigt. Sie hat den letzten Winter wegen der Geburt ihres ersten Kindes komplett ausgelassen und bei den Deutschen Meisterschaften im Sommerbiathlon bei den Frauen dominiert. Das erinnert mich ein wenig an Justine Braisaz-Bouchet und ihren Weg nach der Babypause. Janina sollten wir im kommenden Winter definitiv im Blick behalten.

Markéta Davidová scheint sich von ihrem Bandscheibenvorfall ebenfalls erholt zu haben. Sie ist unwahrscheinlich talentiert und könnte durchaus für Furore sorgen!

Ron: Neben Hettich-Walz sticht vor allem Vittozzi heraus. Die Weltcup-Gesamtsiegerin 2024 präsentierte sich beim Blinkfestivalen in Norwegen, als ob sie nie weg gewesen wäre. Sie ist einmal mehr eine der absoluten Top-Favoritinnen im kommenden Winter.

HE: Linn Gestblom war überglücklich, wieder dabei zu sein. Ich denke, sie wird im Laufe der Saison immer besser werden. Auch Vittozzi machte einen richtig guten Eindruck. Auf sie wird zu achten sein.

BW: Was sind für euch die wichtigsten Erkenntnisse der Sommerbiathlon-Saison?

GC: Drei Dinge sind mir ins Auge gestochen: Beim City Biathlon in Dresden zeigte Eric Perrot im Finale der Männer seinen unbändigen Siegeswillen. Zweitens haben mich die Ergebnisse der nun für Dänemark startenden Anne De Besche beeindruckt, die sogar den Massenstart bei den Norwegischen Meisterschaften gewinnen konnte. Das ist für sie persönlich und das ganze Land ein vielversprechendes Zeichen.

Drittens hat das italienische Team bei den Nationalen Meisterschaften in Antholz-Anterselva, an denen viele internationale Stars teilnahmen, absolut überzeugt. Wer hätte gedacht, dass Italien auch ohne Wierer und Vittozzi Siege einfahren würde? Neben Birgit Schölzhorn aus dem B-Team war auch Rebecca Passler erfolgreich, die vor Suvi Minkkinen triumphierte, während die Norwegerinnen weit abgeschlagen waren. Vor einem Jahr überrundete Vittozzi in Forni Avoltri alle anderen Teilnehmerinnen. Allein das zeigt, wie sehr sich die Italienerinnen verbessert haben. Das gibt viel Zuversicht für die neue Saison.

Ron: Der Sommer hat nicht allzu viele Überraschungen gebracht. Einige jüngere Athletinnen und Athleten scheinen den nächsten Schritt gemacht zu haben, während andere ihrer Favoritenrolle gerecht geworden sind. Wie immer sollten die Ergebnisse im Sommer nicht überbewertet werden, vor allem nicht die Laufzeiten. Denn niemand weiß, in welcher Form und in welcher Phase ihrer Vorbereitung die Biathletinnen und Biathleten an den Veranstaltungen teilnehmen. Tandrevold ist dafür ein gutes Beispiel.

HE: Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, zählt Gestblom für mich zu den größten Lichtblicken. Nachdem sie aufgrund von OP und langer Reha eine Saison komplett raus war, hat sie sich eindrucksvoll in den Wettkampfzirkus zurückgekämpft.

BW: Bis zum Saisonstart warten noch wenige Skiroller-Events, vor allem das allererste Loop One Festival. Worauf freut ihr euch bei dieser Veranstaltung am meisten? Wer wird eurer Meinung nach in München auf sich aufmerksam machen?

GC: Ich freue mich sehr auf die Veranstaltung. Ich bin überzeugt, dass es ein starkes Teilnehmerfeld geben wird und dass das Loop One Festival ein bedeutender Meilenstein im Biathlonsport sein kann, da er zum ersten Mal in einer großen Metropole Station macht. Für die Athletinnen und Athleten kann die Begeisterung der Fans vor echter Weltcup-Atmosphäre einen Monat vor Beginn der Saison einen richtigen Push für die letzte Phase der Vorbereitung geben.

FB: Meiner Meinung nach ist der große Vorteil des Loop One Festivals, dass es die weltbesten Biathletinnen und Biathleten an einem Ort zu einer Zeit zusammenbringt – und das rund einen Monat vor Beginn der Weltcup-Saison. Ich bin gespannt, wer sich in München bereits in guter Verfassung zeigt und wer noch Reserven hat. Allerdings sollte man aus den Leistungen beim Loop One keine finalen Rückschlüsse auf die Form im kommenden Winter ziehen. Das Festival bleibt ein Sommerwettkampf in einem ganz besonderen Format, das im Weltcup nicht zum Einsatz kommt. Bis zum heißen Start Ende November in Östersund werden die Karten neu gemischt.

Andererseits können die Athletinnen und Athleten aus solchen Veranstaltungen wichtige Erkenntnisse für ihr Training gewinnen. Nach München erwartet ein eng getakteter Zeitplan für ihre letzten Vorbereitungswochen.

Ron: Ich bin gespannt, wie das Event aufgebaut ist und wie die Fans es annehmen werden. München genießt einen guten internationalen Ruf und scheint daher prädestiniert für ein solches Biathlon-Event. Für die Aktiven ist es der letzte internationale Härtetest vor dem Winter und gleichzeitig eine Chance, den Fans noch einmal eine gute Show zu bieten.

HE: Das Loop One in München verspricht mit vielen Fans und großartiger Atmosphäre ein tolles Event zu werden. Die Athletinnen und Athleten werden es lieben.

BW: Wer sind für euch die Favoriten bei der Saisoneröffnung in München?

GC: Bei den Frauen würde ich Jeanmonnot und Vittozzi sagen, gefolgt von Elvira Öberg und Hettich-Walz. Gespannt bin ich auf die hoch motivierte Knotten.

Bei den Männern habe ich definitiv Perrot, Lægreid, Giacomel und Jacquelin auf dem Schirm. Für eine Überraschung könnten Uldal oder Campbell Wright sorgen.

FB: Ich glaube, Vittozzi, Preuß und Jeanmonnot werden in München vorn dabei sein, genauso wie Jacquelin, Perrot und Lægreid bei den Männern. Wir hoffen auf zwei französische Erfolge.

Ron: Bei den Männern ist für mich Perrot der große Favorit. Natürlich wird es nicht leicht gegen schnelle Scharfschützen wie Uldal oder Vetle Christiansen. Bei diesem Format könnte auch Justus Strelow, ein gewohnt sicherer Schütze, ein Wörtchen mitreden. Bei den Frauen ist die Sache weitaus offener. Neben den vier großen Favoritinnen Preuß, Jeanmonnot, Simon und Vittozzi traue ich beim Loop One mit den kurzen Runden und vielen schnellen Schießeinlagen auch Wierer eine gute Rolle zu.

HE: Mit den Deutschen ist vor heimischer Kulisse immer zu rechnen. Natürlich hoffe ich auch auf meine schwedischen Landsleute. Aber ich muss zugeben, dass eine Prognose schwer ist, vor allem, wenn die finale Startlisten noch nicht bekannt sind.

Photos from Deubert/IBU, Nordnes/NordicFocus, Hoglund/Svenska Skidskytteforbundet

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