Biathlonworld (BW): Im vergangenen Winter hast du deine erste vollständige Weltcup-Saison bestritten und warst bei nahezu jedem Rennen am Start. Was war für dich schwieriger, die physischen oder die mentalen Anforderungen?
Vitalii Mandzyn (VM): Das Schwierigste war für mich wahrscheinlich die Erkenntnis, dass ich wirklich mit den Besten mithalten kann. Der letzte Winter steckte voller neuer Erfahrungen für mich und ich habe viele Dinge zum ersten Mal erlebt. Das bezieht sich nicht nur auf die Rennen, sondern vor allem darauf, im Kopf und mental alles gut zu verarbeiten. Dass ich mich gleich beim Saisonauftakt für den Massenstart qualifizieren und an der Flower Ceremony teilnehmen durfte, war schon etwas Besonderes. Es kam früher, als ich erwartet hatte und ich war noch nicht richtig bereit dafür.
BW: Wie hat es sich angefühlt, als du gemerkt hast, dass du auf diesem Niveau mithalten kannst? Wie bist du damit umgegangen?
VM: Ich musste vor allem verarbeiten, dass das Ergebnis kein Zufall war. Wenn du bei deinem ersten Einzel gleich Vierter wirst, verdreht dir das ein bisschen den Kopf. Du fragst dich dann, ob das gerade wirklich passiert ist. Die große Herausforderung bestand für mich darin, anzuerkennen, dass dieses Resultat das Ergebnis meiner harten Arbeit und kein Glück war. Im Laufe der Zeit habe ich verstanden, dass man sich an diese Erfolgserlebnisse herantasten muss: Du willst mehr davon und du willst dich immer weiter verbessern. Ich habe gelernt, die Sache mit klarem Kopf anzugehen und ich habe gespürt, dass ich im letzten Winter einen großen Sprung nach vorn gemacht habe.
BW: Du scheinst sehr diszipliniert und ambitioniert zu sein. Woher kommt dein Antrieb, Erster zu werden?
VM: Das kann ich gar nicht genau sagen. Schon als Kind wollte ich immer alle Dinge richtig gut machen, selbst kleinste Details. Diese Einstellung ist durch die Arbeit mit meinen Coaches, die Trainingslager und andere Situationen immer stärker geworden. Schon in der Schule haben die Lehrkräfte zu meiner Mutter gesagt, dass andere zu mir aufschauen. Damals habe ich das gar nicht so wahrgenommen. Doch später bemerkte ich, dass ich in der Gruppe immer der Beste sein wollte. Dieses Streben ist seitdem ein fester Teil von mir, wenn auch heute auf einem anderen Level. Außerdem liebe ich große Herausforderungen. Sie machen mich nur stärker. Ich glaube, dass man im Biathlonsport ambitioniert sein muss. Wenn man sich die Besten der Besten anschaut, hatten sie alle ein großes Ziel. Das ist bei mir auch so.
BW: Sicherlich gab es auch für dich Momente, in denen nichts nach Plan lief und Dinge einfach nicht funktioniert haben. Wie hast du diese Situationen überwunden?
VM: Als Junior hatte ich so eine Zeit, wobei sie nicht sehr lange angehalten hat. Auch in der letzten Saison gab es eine sehr schwierige Phase für mich. Nach dem starken Saisonauftakt in Kontiolahti lief in Hochfilzen plötzlich überhaupt nichts mehr zusammen. Der Kontrast bei den Ergebnissen hat mich schwer getroffen. Am schmerzlichsten war die Staffel, bei der ich am Ende zweimal in die Strafrunde musste. Ich konnte nicht verstehen, warum die Dinge, die eine Woche zuvor noch prächtig funktionierten, auf einmal nicht zündeten. An dem Punkt fiel es mir sehr schwer, mich zusammenzureißen.
Ich bin jemand, der sich immer verbessern will. Wenn es nicht klappt, tut das sehr weh. In solchen Momenten helfen mir meine Eltern am meisten. Sie unterstützen mich immer und nehmen mich so, wie ich bin. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Außerdem danke ich Gott für das, was ich habe. Der Glaube gibt mir Kraft, sowohl in guten wie auch in schwierigen Zeiten. In Hochfilzen haben mir die Fans Mut zugesprochen, das hat mich bestärkt. Ihre aufmunternden Worte haben mir geholfen, die Sache nur als eine schwierige Phase auf einem langen Weg zu betrachten.
BW: Nimmt dich ein schlechtes Mannschaftsergebnis mehr mit als ein schlechtes Einzelrennen?
VM: Auf jeden Fall. In der Staffel trägst du mehr Verantwortung, weil du nicht nur für dich selbst läufst. Fehler schmerzen hier doppelt. In Oberhof lief es in den Einzelwettkämpfen beispielsweise ziemlich gut für mich. Das Schießergebnis war okay. Aber in der Mixed-Staffel musste ich wieder in die Strafrunde. Am Ende wurde mir klar, dass alles eine Frage der Psyche ist. Das Schwierigste war zu akzeptieren, dass die Dinge manchmal einfacher sind, als man denkt: Wenn du im Wettkampf einfach das machst, was du im Training schon Hunderte Male getan hast, werden sich die Ergebnisse einstellen. Das hat bei mir erst ab Mitte der Saison funktioniert. Aber ich bin sicher, dass mir diese Erfahrung in Zukunft helfen wird.
BW: Wie erholst du dich von solchen schwierigen Momenten?
VM: Ich gehe dann meist abends eine Runde spazieren oder unterhalte mich mit meinen Eltern, meiner Schwester oder Freunden. Manchmal will ich einfach nur allein sein, über die Sache nachdenken und es dann auch gut sein lassen. Der Schlüssel liegt darin, dich nicht fertigzumachen und nach vorn zu schauen. Jeder Champion hat in seiner Karriere auch schwere Momente erlebt. Das gehört dazu. Man muss danach immer weiter machen und es wieder und wieder probieren. Vielleicht hundert Mal, vielleicht tausend Mal. Vielleicht klappt es am Ende auch gar nicht. Aber sobald du aufhörst, es zu versuchen, verliert alles an Bedeutung. Davon bin ich überzeugt.
BW: Erfolg ist nur den wenigsten vergönnt, auch wenn sie noch so hart trainieren und sich anstrengen. Woran liegt das deiner Meinung nach?
VM: Eine schwierige Frage. Nur die wenigsten haben das Talent eines Johannes Thingnes Bø, das ist Fakt. Gleichwohl wollen alle sein Niveau erreichen. Selbst Athleten, die am Ende auf Platz 100 ins Ziel kommen, träumen davon, Erster zu sein. Der Unterschied liegt in der inneren Motivation. Wie sehr bist du bereit, weiter voranzukommen? Darauf habe ich keine konkrete Antwort. Ich weiß nur, was ich will. Und dass ich alles dafür geben werde. Ich bin sicher, dass ich erst am Anfang stehe.
BW: Sportlicher Erfolg hat immer einen Preis. Welchen hat er für dich?
VM: Man gibt viel auf: Freiheit, Freizeit, Zeit mit der Familie. Dein Leben ist das ganze Jahr über durchgetaktet: Camps, Reisen, Wettkämpfe. Manchmal fühlt sich eine Woche zu Hause wie Urlaub an. Aber der Biathlon gibt mir auch viel zurück. Ich kann mich weiterentwickeln, mir einen Namen machen und erhalte neue Möglichkeiten. Trotzdem braucht es eine gesunde Balance, sonst funktioniert es nicht. Wenn du nicht gelegentlich abschaltest, brennst du aus. Für mich bedeutet das Zeit mit der Familie. Manchmal fahre ich auch während der Saison ein paar Tage nach Hause. Die heimische Atmosphäre ist eine wahre Energiequelle für mich und lädt meinen Akku besser auf als alles andere.
BW: Wenn du nun auf deine erste vollständige Saison im Weltcup zurückblickst, welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich von vor einem Jahr geben?
VM: Ich würde ihm sagen, versuche es immer weiter und gebe nie auf. Vertraue dir selbst und glaube an das, was du tust. Glaube an das Gute und bleibe immer optimistisch.
BW: Und welchen Rat würdest du deinem Ich in der Zukunft geben?
VM: Wahrscheinlich denselben. Mein Mindset steht mehr oder weniger fest. Diese Einstellung wird mich noch lange Zeit begleiten, vielleicht sogar bis ans Ende meiner Karriere. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt. Wenn ich die Möglichkeit hätte, in die Zukunft zu blicken, würde ich es aber nicht tun. Es ist doch viel interessanter, seinen eigenen Weg zu gehen, mit allen Höhen und Tiefen, und dann zu wissen, dass man ihn mit jedem Schritt selbst zurückgelegt hat.
Fotos: IBU Photopool