Mit zwei großen Kristallkugeln auf dem Schoß, zehn Weltmeistertiteln in der Statistik und drei olympischen Medaillen um den Hals gehört Dorothea Wierer zu den ganz Großen der Biathlon-Geschichte. Die charismatische Italienerin, die seit jeher auch viele Interessen außerhalb des Sports hat, hat sich trotzdem entschieden, noch (mindestens) eine Saison mit dem Biathlon weiterzumachen. Der Hauptgrund? Sie will noch erfolgreicher werden.
Wann hast du beschlossen, noch mindestens ein Jahr im Weltcup weiterzumachen? Als der Winter vorbei war, habe ich mich mit meinen Trainern, meinem Mann und meiner Familie zusammengesetzt und mir ihre Meinungen dazu angehört. Das hat mir bei der Entscheidungsfindung geholfen. Am Ende war es meine Entscheidung, weil ich ja diejenige bin, die die vielen Trainingsstunden ableisten und auch die mentale Energie für die Wettkämpfe aufbringen muss. Aber ich wollte eben auch die Sicht meines Trainerteams kennen. Ich wollte wissen, ob sie wirklich glauben, dass ich noch das Zeug dazu habe, gute Resultate einzufahren. Meine Eltern hatten gehofft, ich würde aufhören, weil sie gesehen haben, wie oft ich gestresst bin und dass ich fast immer unterwegs bin.
Was ist das Härteste am Biathlon? Gibt es etwas, weswegen du (manchmal) einfach gern hinschmeißen würdest? Was mich am meisten zermürbt, ist dass ich sehr wenig Zeit für mich habe und nur wenige Tage, an denen ich mich ausruhen und ganz vom Sport abschalten kann.
Und was ist das Beste am Biathlon? Was motiviert dich, weiterzumachen? Ich habe die Motivation, noch mehr gute Ergebnisse einzufahren. Das ist der Hauptantrieb. Ich liebe es, wenn alles gut läuft, ist ja logisch. Aber ich bin mir auch dessen bewusst, dass alle Athletinnen und Athleten Hochs und Tiefs durchmachen, also muss man optimistisch bleiben und an die eigenen Chancen glauben.
Hat sich dein Sommertraining im Laufe der Jahre verändert, weg von großen Trainingsvolumina und hin zu gezielteren und vielleicht weniger zeitaufwändigen Einheiten? Mein Sommertraining hat sich über die Jahre eigentlich nicht viel verändert. Aber ich glaube, dass ich mich in diesem Jahr mehr auf Qualität als auf Quantität konzentrieren werde, insbesondere weil ich wegen anderer Verpflichtungen nur wenige Ruhetage habe. In diesem Jahr beginnt meine Saisonvorbereitung zwei Wochen später als sonst. Ich habe zwischen Oslo und dem 15. Mai einfach gar nichts gemacht. Es war dann wirklich schwierig, wieder in die Gänge zu kommen! Zum Glück sind es bis zum Saisonstart noch viele Monate, und ich weiß, dass es nichts bringt, im Sommer in Topform zu sein, also muss ich das Timing hinbekommen!“
Was hat die olympische Medaille dir bedeutet? War das für dich die Erfüllung als Athletin? „Die Medaille in Peking, das war eine unglaubliche Erfahrung, aber daran denke ich gar nicht mehr. Das liegt jetzt hinter mir, und die Saison hat mir viel abverlangt. Ich stand unter so großem Druck, und ich bin sehr zufrieden und stolz, dass ich es geschafft habe, diese Medaille zu gewinnen.“
Bei einer so wunderbar „runden“ Karriere wie deiner – zweifache Weltcup-Gesamtsiegerin, mehrfache Weltmeisterin, eine olympische Medaille gewonnen – was würdest du gern noch erreichen? Ich weiß, dass das Niveau im Feld unglaublich hoch ist, und es sind so viele starke Frauen unterwegs, also wird das nicht einfach. Aber mein Ziel ist, in der Saison ein paarmal auf dem Podest zu stehen. Ich weiß, dass ich dafür einen fast perfekten Tag und ein fast perfektes Rennen brauche, bei dem auf der Strecke und am Schießstand alles passt. Leider hatte ich zu Beginn der letzten Saison einige gesundheitliche Probleme. Ich hoffe, dass sich das 2022/2023 nicht wiederholt. Naja, und das große Ziel sind dann natürlich die IBU Weltmeisterschaften in Oberhof. Es ist kein Geheimnis, dass das nicht mein liebster Austragungsort ist, aber ich habe auch da schon gute Rennen abgeliefert. Ich hoffe einfach auf noch mehr Erfolg in Oberhof!
Hast du denn auch Mailand/Cortina 2026 irgendwo im Hinterkopf? Jede Athletin träumt von Olympischen Spielen auf heimischem Boden. Das wäre fantastisch. Aber man muss auch realistisch bleiben, und vier Jahre sind für eine Athletin eine unglaublich lange Zeit. Ich weiß nicht, ob ich das körperlich und mental noch so lange durchhalte, dass ich dort auch realistische Chancen habe. Jenseits des Sports möchte ich im Leben auch noch andere Ziele erreichen. Es ist auch gut, dass hinter mir starker Nachwuchs nachrückt. Sie sind hochmotiviert und können in 2026 mit guten Leistungen glänzen. Also nein, Mailand/Cortina habe ich derzeit nicht im Hinterkopf. Das ergibt für mich keinen Sinn.