0,1 Punkt zwischen JT Boe und Laegreid

Tiril Eckhoff hat noch immer nicht ganz begriffen, welch großartige Saison sie abliefert, und schreibt alles der Erfahrung zu, die sie mit jedem neuen Jahr im BMW IBU Weltcup sammelt. Dabei kommt sie Tora Bergers Rekord aus der Saison 2012/2013 immer näher. Während Eckhoff einfach ihren Erfolgssträhne genießt, versuchen Sturla Holm Laegreid und JT Boe herauszufinden, wie sie den anderen schlagen können. Ihr Duell ist einer der spannendsten Kämpfe um den Gesamtweltcup aller Zeiten.

Sturla und JT schenken sich Nichts

Als Laegreid quasi aus dem Nichts auftauchte und den Einzel bei der Saisoneröffnung in Kontiolahti gewann, sagte JT Boe: „Das werden die besten 24 Stunden in Sturlas Leben. Er wird morgen im Sprint wieder auf dem Podest stehen wollen und sich keinen schlechten Tag nach diesem Sieg leisten.“ JTs Vorhersage stellte sich als wahr heraus. Doch dann kam das Unvorhersehbare. Sehen wir uns nur einmal Sturlas Erfolge in der Saison 2020/2021 an:

  1. Erster Sieg auf BMW IBU Weltcupniveau (in der ersten Woche von Kontiolahti)

  2. Erster Sieg im Einzel (in der ersten Woche von Kontiolahti)

  3. Erster Sieg in der Herrenstaffel (in der zweiten Woche von Kontiolahti)

  4. Erster Sieg im Sprint (in der zweiten Woche von Hochfilzen)

  5. Erster Sieg in der Verfolgung (in der zweiten Woche von Hochfilzen)

  6. Erster Sieg im Massenstart (in Pokljuka 2021)

  7. Erste Goldmedaille bei der IBU Weltmeisterschaft (Pokljuka 2021 in der Mixed-Staffel)

  8. Erste Einzelgoldmedaille bei der IBU Weltmeisterschaft (Pokljuka 2021 im Einzel)

  9. Erster Gesamtsieg in einer Disziplinwertung (Einzel)

  10. Erster Gesamtsieg in der Staffelwertung (NMNM; laut Laegreid ein prestigeträchtiger Sieg).

Und die Liste kann bis zum Saisonende noch länger werden, denn drei Disziplinwertungen sind noch offen:

  1. Zwei Wettkämpfe vor Saisonende liegt Laegreid (zwei Siege im Verfolgung in dieser Saison) derzeit vorn. JT, Emilien Jacquelin, Sebastian Samuelsson, Dale und Fabien Claude haben noch eine Chance auf den Sieg.

  2. Im Massenstart liegt Tarjei vor JT, Quentin Fillon Maillet, Arnd Peiffer und Laegreid.

  3. Im Sprint liegt JT Boe (drei Saisonsiege) weit vor Johannes Dale, Laegreid und Tarjei Boe. Er sollte sich diesen Titel morgen im Sprint der Herren um 17:30 Uhr sichern.

Während Sturla immer mehr erste Siege einfuhr und dabei Woche für Woche eine Trefferquote von 93 % (oder mehr) zeigte, versuchte JT sich an diese neue Herausforderung anzupassen und viele unterdurchschnittliche Tage am Schießstand durch seine wunderbare Laufökonomie wettzumachen. Nachdem er in der ersten Woche von NMNM zweiter im Sprint wurde, sagte JT, dass er im Moment eher ein exzellenter Langläufer und weniger ein exzellenter Biathlet sei. Aber dank dieser Laufmacht kann er sich gegen Laegreids Schießgewalt behaupten. Tarjei Boe beschrieb Sturlas Leistungen am Schießstand als eine komplett neue, noch nie da gewesene Dimension im Biathlon. JT weiß, dass er niemals schneller unterwegs war als im Moment – und diese Laufstärke kann nicht über Nacht verschwinden. Sturla andererseits weiß, dass er am Schießstand keine Fehler machen darf, wenn er in zwei Wochen die große Kristallkugel in seinen Händen halten möchte. Bezieht man die vier Streichresultate dieser Saison mit ein, liegt JT 0,1 Punkt pro Wettkampf vor Sturla, der sich zusätzlich noch das Blaue Trikot gesichert hat. Der Kampf um das Gelbe Trikot könnte nicht spannender sein.

Eckhoff dankbar für gute Schießform

Selbst nach zehn Siegen – fünf im Sprint und fünf in der Verfolgung (die ihr die Gesamtsiege in diesen beiden Disziplinwertungen sicherten) – nimmt Eckhoff sich selbst immer noch nicht allzu ernst. In den vergangenen zehn Jahren hat sie so oft geweint und ist an dem Druck, der im Biathlon selbst die besten Athleten am Schießstand niederdrücken kann, fast zerbrochen. Denn die einzige Person, der man an seinen Fehlern die Schuld geben kann, ist man selbst. Die Scheiben sind gnadenlos – und manchmal scheinbar einfach nicht zu treffen.

Nehmen wir Marte Olsbu Roeiseland: Sie war die Königin der IBU Weltmeisterschaft in Antholz 2020 und gewann rekordverdächtige sieben (von sieben möglichen) Medaillen – fünf davon Gold. Seit ihrem Verfolgungssieg in der ersten Woche in Hochfilzen trug sie das Gelbe Trikot, doch in Pokljuka 2021 wendete sich das Blatt. Plötzlich schienen die Biathlongötter keine Gnade mehr mit ihr zu kennen. „Letztes Jahr war wirklich einfach. Ich habe einfach meinen Job gemacht und die Medaillen sind mir zugeflogen. Dieses Jahr in Pokljuka habe ich genauso hart, wenn nicht noch härter, gekämpft, aber es war einfach kein Podiumsplatz in einem Einzelrennen möglich. Natürlich ist es schwer, aufs Treppchen zu kommen. Gerade deshalb liebe ich Biathlon, aber genau deshalb hasse ich Biathlon auch manchmal“, sagte Olsbu Roeiseland, die in der ersten Woche in NMNM Dritte in der Verfolgung wurde und immer noch eine kleine Chance hat, Eckhoff bis zum Saisonende zu entthronen.

Eckhoff kann Martes Worte gut nachvollziehen, denn letzte Saison war für sie eine reine Achterbahnfahrt. „Man muss einfach dankbar sein, wenn alles gut läuft. Und in dieser Saison läuft es bei mir einfach“, sagte Eckhoff nach ihrem Verfolgungssieg in NMNM. Bis zum Saisonende stehen noch fünf Einzelrennen aus. Zieht man die Streichresultate ab, hat Eckhoff in dieser Saison pro Rennen 51,8 Punkte geholt – mit Aufwärtstrend. Setzen wir es einmal in Relation: Als Berger die beste Damensaison aller Zeiten ablieferte, gewann sie 51,4 Punkte pro Wettkampf. Doch selbst mit dieser tollen Leistung war sie nicht besser als der Gesamtsieger der Herren in jener Saison: Martin Fourcade holte 2012/2013 52 Punkte pro Rennen. In dieser Saison wird Eckhoff JT und Sturla, die mehr als drei Punkte weniger pro Wettkampf holten als sie, leicht schlagen. Und noch ein neuerer Vergleich: Dorothea Wierer gewann 39 Punkte und 42 Punkte pro Rennen bei ihren beiden Weltcupgesamtsiegen in den Saison 2018/2019 und 2019/2020.

Vier Damen kämpfen um das Blaue Trikot

Dzinara Alimbekava (561 Punkte) trägt derzeit das Blaue Trikot, doch Marketa Davidova (554), Ingrid Landmark Tandrevold (546) und Elvira Oeberg (522) haben noch immer eine Chance. Ziehen wir die vier Streichresultate ab, kommt Alimbekava auf 544 Punkte, Davidova hat 541, Tandrevold 540 und Oeberg 516. Alle mussten in dieser Saison mit Höhen und Tiefen kämpfen. Die neuesten Entwicklungen deuten darauf hin, dass Tandrevold vor den letzten fünf Rennen die stärkste der vier Athletinnen ist.

Und auch der Gesamtsieg in der Mixed-Staffel-Wertung wird sich am kommenden Wochenende entscheiden.

Foto: IBU/C. Manzoni & V. Thibaut

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